Der Puppenfänger (German Edition)
im September 1992, gestorben ist«, erwiderte Heide und sah Frau Bochmann direkt an. »Ich vermute, sie hatte eine Zwillingsschwester mit dem Namen Christina. Christina Wanner, geborene Rosenbring, ist vor zwei Jahren mit ihren Töchtern tödlich verunglückt.«
»Sehen Sie, ich habe Ihrer Mitarbeiterin meine Telefonnummer gegeben, weil ich erfahren möchte, was Alexa dazu gebracht hat, sich selbst zu töten. Ich will es wissen, weil ich mir dann vielleicht verzeihen kann, dass ich dieses Unglück nicht verhindert habe.«
»Alexandra Rosenbring hat Selbstmord begangen?«
»Sie hat sich in eine randvoll mit Wasser gefüllte Badewanne gesetzt und sich die Pulsadern aufgeschnitten. Ihr Todestag jährt sich im Herbst zum neunzehnten Mal. Ich denke oft an sie. Sobald der September naht, frage ich mich, was ich hätte tun können, um ihren Tod abzuwenden. Ich mache mir Vorwürfe.« In Sandra Bochmanns Augen standen Tränen. Sie wischte flüchtig mit der Hand über ihre Stirn, stand auf, drehte Heide den Rücken zu und sah aus dem Fenster.
»Sie waren befreundet?«
»Ja! Alexandra – Alexa –, ihre Schwester Christina, die wir Tina nannten, Katja Soderbaum und ich. Wir vier waren seit der fünften Klasse unzertrennlich. Katja lebt heute in Süddeutschland. Sie und ich haben uns oft gefragt und wir fragen uns heute noch, was im Frühling 1992 geschehen ist. Welches Ereignis die Zwillinge dermaßen aus der Bahn geworfen haben könnte, dass sie ganz plötzlich und ohne eine Erklärung jeden Kontakt zu uns abbrachen und nicht mehr duldeten, dass ihnen irgendjemand aus unserer alten Clique nahe kam. Katja und ich haben alles Denkbare unternommen, damit sie wieder mit uns sprachen. Wir haben sie angefleht, wir haben geschimpft, wir haben geheult. Aber es half alles nichts. Irgendwann haben wir aufgegeben. Heute frage ich mich, ob wir möglicherweise nicht hartnäckig genug waren. Vielleicht hätten Katja und ich Alexas Selbstmord verhindern können.«
»Und Christina Rosenbring? Hatten Sie nach Alexandras Tod Kontakt zu ihrer Schwester?«
»Nein.« Sandra Bochmann setzte sich zurück an den Tisch und sah Heide bittend an. »Melden Sie sich bei mir, falls Sie erfahren, was damals geschehen ist? Vielleicht hilft es mir, wenn ich weiß, weswegen Alexa nicht mehr leben wollte. Wissen Sie, Frau von der Heide, Alexa und Tina – sie waren etwas Besonderes.«
D IENSTAG, DEN 19. A PRIL 2011
Der Brief kam mit der Hauspost, trug weder Briefmarke noch Absender, lag um acht Uhr auf Dieters Schreibtisch und steckte fünf Minuten später in einer Schützhülle. Der Inhalt des Schreibens sorgte dafür, dass die Mitglieder der MK Dankern sich eine halbe Stunde später im Besprechungszimmer trafen.
»Was ist passiert?«, fragte Friedrichs, der als Letzter eintraf und sich neben Torben Cinke setzte.
Torben schob ihm den Brief entgegen. »Schöllen hat uns geschrieben. Er gesteht, dass er am 11. April 2011 seinen Bruder Gunnar Laxhoff im Streit erschossen hat. Angeblich hat Laxhoff Schöllen wegen mehrerer Straftaten erpresst. Zusätzlich kündigt Gerald Schöllen in dem Schreiben seinen Selbstmord an.«
»Mehrere Straftaten?«, Friedrichs war fassungslos. »Führt er sie einzeln auf?«
Dieter nickte. »Schöllen gesteht, am 12. April 2009 einen Verkehrsunfall absichtlich herbeigeführt zu haben. Bei diesem Unfall starben Christina Wanner und ihre Töchter Sabine und Susanne. Angeblich hat Frau Wanner ihn anhand einer Tätowierung als den Mann identifiziert, der sie im Frühling 1992 vergewaltigt hat, und ihm mit einer Anzeige gedroht.«
»Wenn sich unsere Kundschaft jetzt selbst anzeigt und für Gerechtigkeit sorgt, können wir meinetwegen den Laden dichtmachen und in Rente gehen. Aber vorher guck ich sicherheitshalber mal nach, ob ich Schöllens Fingerabdrücke auf seinem angeblichen Geständnis finde«, flachste Friedrichs, während er Papier und Schrift kritisch musterte. »Falls welche drauf sind, bete ich zum Herrgott, dass sich diese Art der Aufklärung durchsetzt. Sehr empfehlenswert! Die Straftat gestehen, am besten gleich schriftlich, uns ein Geständnis schicken und ab die Post hinter schwedische Gardinen!«
»Ebenso wenig, wie die Spuren in Schöllens Fahrzeug den tatsächlichen Beweis dafür erbringen konnten, dass er seinen Bruder Gunnar Laxhoff ermordet hatte, beweisen ein paar schwammige Bemerkungen in einem maschinegeschriebenen Abschiedsbrief, dass er diese Straftaten begangen hat«, brummelte Anton
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