Der Puppengräber
schaltete ab, ganz langsam, als ob ein Mensch mit wenig Kraft in den Armen mühsam einen schwergängigen Hebel umlegte und ein paar Räder in einer Maschine zum Stillstand brachte, nur der Motor lief noch weiter. Umdrehung für Umdrehung summte er ein eintöniges «Gefunden» durch das nutzlose Räderwerk. Nur gefunden! Wenn Ben draußen uralte Knochen, Unterhöschen und blutige Handtaschen fand, warum dann nicht auch zwei Finger? Einer mit den Augen einer Eule sah mehr und fand mehr als andere.
Es dauerte eine Ewigkeit, ehe zwei oder drei der stillstehenden Räder wieder in Gang kamen und Trude den Deckel vom Glas heben konnte. Sie nahm die gerollten Wegerichblätter samt Inhalt heraus und steckte sie in die Kitteltasche. Dabei schaute sie mit steifem Gesicht zum Fenster hinaus, zum Bruch hinüber. Von dort war er gekommen. Und dort hatte die Polizei am Sonntag ohne Hunde gesucht. Welch ein Blödsinn! Das Bendchen,durch das sie die Tiere gescheucht hatten, war übersichtlicher als der alte Bombenkrater mit seinen Trümmerbergen.
Er schlief bis kurz vor eins. Dann weckte ihn wie üblich der Essensgeruch, der durchs Haus zog. Nach dem Essen kamen die beiden Mädchen aus der Schule in Lohberg und radelten hinaus zum Lässler-Hof. Er brauchte keine Uhr, solange die anderen ihre festen Gewohnheiten beibehielten. Mittagessen um eins.
Er kam in die Küche. Den massigen Kopf zwischen die Schultern gezogen, dass von seinem Nacken fast nichts übrig blieb. Die Augen huschten wieselflink vom gedeckten Tisch zu den Töpfen auf dem Herd. Er setzte sich erwartungsvoll hin, verschlang, was Trude ihm auf den Teller häufte. Danach stand er auf.
«Setz dich wieder», verlangte Trude. Er blieb neben dem Tisch stehen und trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.
«Jetzt setz dich wieder», sagte sie noch einmal und bemühte sich, es energisch klingen zu lassen. Doch der dumpfe Herzschlag schwang zwischen den Worten. Und mit feinem Instinkt bemerkte er, dass ihr die Kraft fehlte.
«Du kannst nicht mehr raus», sagte sie, es klang wie ein Betteln. «Ich hab weh.» Sie klopfte sich gegen die Brust. «Viel weh – hier drin. Ich mag nicht alleine sein. Du bist doch mein guter Ben, du bist mein Bester. Du musst jetzt bei mir bleiben.»
Er schüttelte den Kopf, wandte sich zur Tür und trottete zur Kellertreppe. Trude wollte ihm nach, doch dazu reichte die Kraft erst recht nicht. Es war so warm in der Küche. Seit Stunden brannte ein Feuer in dem Herd, den Jakob nach dem Umzug nicht mehr hatte aufstellen wollen. Wozu auch? In allen Räumen gab es Zentralheizung,und in der Küche stand ein neuer Elektroherd. Aber Trude hatte darauf bestanden, den alten Kohleherd zu behalten. Für den Notfall, wenn mal der Strom ausfiel. Oder wenn man etwas verbrennen musste. Ein blutigschmutziges Unterhöschen, eine blutige Handtasche oder zwei abgeschlagene Finger in Wegerichblättern.
Trude stützte den Kopf mit den Händen ab und starrte blicklos zum Herd. Nach einer Weile raffte sie sich auf, so schob die Ringe über der Feuerung beiseite und stocherte so lange mit einem Eisen in der Glut, bis nichts mehr da war, wovor man sich hätte entsetzen müssen.
Währenddessen hatte er in gemächlichem Trab den Feldweg erreicht, beschleunigte seine Schritte, nahm den leichten Bogen, den der Weg beim Stacheldraht der Apfelwiese machte, und hielt auf das Maisfeld zu. Am Rand des Feldes blieb er minutenlang stehen, hob das Fernglas an die Augen und spähte über die Halme zu Lukkas Bungalow hinüber.
Er war nicht sicher, ob sein Freund Lukka daheim war. Es war von draußen nur schwer zu erkennen. Wenn er daheim war, kam er heraus, sobald er ihn sah. Aber Heinz Lukka sah ihn nicht, wenn Ben es nicht wollte. Er ging in die Hocke, teilte vorsichtig die Maisstängel und schlich dazwischen, umrundete das Haus, buddelte das Springmesser aus einer Erdkuhle, steckte es ein und spähte an der anderen Seite den Feldweg entlang.
Weit hinten tauchten aus Richtung Lohberg die beiden Mädchen auf, denen er entgegenfieberte. Es war ein Fieber, das weder ein Befehl seines Vaters noch eine unter Schmerzen vorgebrachte Bitte seiner Mutter niederdrücken konnte. Sie näherten sich langsam. Er ließ sie an sich vorbei und kicherte in sich hinein, weil sie ihn scheinbar nicht bemerkt hatten.
Als sie gut hundert Meter entfernt waren, richtete ersich auf, hastete auf den Weg und hinter ihnen her. Er holte sie rasch ein. Sie mussten seine Schritte hören, doch keine von
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