Der purpurne Planet
unterbrochen und den ganzen Zeitplan über den Haufen geworfen und wäre auch nicht ungefährlich gewesen.
Nein, in dieser Lage war ihre erste Pflicht, selbst zu entscheiden. Sie sah, daß sie noch in der Lage war, die Arbeit ordentlich auszuführen; und außerdem war die neue Schaltung redundant angelegt: Ein paar einzelne Fehler würden sie nicht untauglich machen, sondern nur die Abstimmung etwas verlängern, die man später, auf der inneren Parkbahn, sowieso vornehmen mußte. Sollten die anderen später, bei der Auswertung ihres Protokolls, das in einer Tasche ihres Raumanzugs lief, ihre Entscheidung billigen oder nicht – jetzt entschied sie, und zwar: weitermachen.
Um zehn Uhr eins stieß Uwe den letzten Container von der Sonde ab. Gleich darauf erschien auch Erika. Sie zog mit der Hand waagerecht von links nach rechts einen Strich: Alles klar! Gemeinsam verschlossen sie die Sonde und kehrten ins Raumschiff zurück.
Als sie die Raumanzüge abgelegt hatten, rief Erich erschrocken: „Erika, wie siehst du denn aus?“
Erika lächelte mühsam. „Mir ist nicht ganz gut, glaube ich.“ Sie gab Irina ihr Protokoll.
Irina löste die Drahtspule aus dem Gerät und legte sie in den Schreiber. „Das sieht ja schlimm aus!“ sagte sie bestürzt, als sie die Kurve in den Händen hielt.
„Aber die Arbeit stimmt“, versicherte Erika, „und mir geht’s auch schon wieder besser. Ich hab es für richtig gehalten, weiterzumachen.“
„Das war auch sicher richtig“, tröstete Uwe sie. „Jetzt leg dich hin, besprechen werden wir alles auf der Parkbahn. – Es ist jetzt zehn Uhr fünfzehn, wir können planmäßig auf die Parkbahn überwechseln.“
Er setzte sich an sein Pult. Wie vorher festgelegt, übernahm er die Steuerung des Raumschiffs, Michael die der Sonde.
Das Körpergewicht kehrte wieder. Unter dem Druck des Bremsstrahls zog das Raumschiff eine Spirale. Die Sonde folgte ihm gehorsam wie ein Hund.
Erika aber legte sich nicht hin, sondern ging an ihren Arbeitsplatz. Der Planet wurde nun immer größer, und als sie die innere Parkbahn erreicht hatten, waren sie schon zum winzigen Satelliten eines riesigen Himmelskörpers geworden.
Erika hatte fleißig gearbeitet und geschaltet, die ganze Zeit. Als nun Antrieb und Steuerung abgestellt wurden, alle ihre Gurte lösten und durcheinanderschwebten, blieb sie vornüber geneigt sitzen. „Was ist mir dir?“ fragte Erich besorgt.
Irina begab sich zu ihr. „Du hättest dich doch hinlegen sollen, es war zuviel für dich!“
Erika schüttelte den Kopf. „Etwas Wichtiges?“ fragte Uwe.
„Ja“, sagte Erika, „weder Licht noch Radar dringen durch – keine Strahlung, die etwas über das Bodenprofil aussagt. Wir können nicht feststellen, welcher Teil des Planeten unter uns liegt, und uns nicht orientieren.“
2
Grün schimmernd, mit großen rosa Flecken bedeckt, lag die Sichel des Planeten RELAIS unter dem Raumschiff. Nichts schien sich an diesem Bild verwandelt zu haben, seit die Besatzung – zum letztenmal vor der Landung – schlafen gegangen war. Nur der Sternhimmel hatte sich verändert, und die Sonne Proxima, der rötlich gleißende Ball, war gewandert, hinter dem Planeten verschwunden und auf der anderen Seite wieder zum Vorschein gekommen. Aber das hatte niemand gesehen, denn zum erstenmal hatte der Kommandant darauf verzichtet, Wachen einzuteilen. Alle von der Besatzung würden in den nächsten Stunden gebraucht werden, und hier, in etwa zehntausend Kilometer Höhe, oberhalb des inneren Strahlungsgürtels, waren keine Überraschungen zu befürchten.
Als die Weckanlage klingelte, schwebte die Besatzung gut ausgeruht zu ihrer morgendlichen Gymnastik und Kosmetik. Die Raumfahrtneulinge dachten wieder einmal, wie angenehm es sein müßte, sich mit richtigem kaltem Wasser zu duschen und dabei zu planschen und zu prusten, das richtete ihre Gedanken auf die bevorstehende Landung, und sie bekamen richtig Sehnsucht nach festem Boden.
Eine gesunde Sehnsucht macht Hunger, und so gürteten sie sich mit gutem Appetit an den Frühstückstisch. Die beiden alten Hasen, Uwe und Michael, waren nicht weniger angeregter Stimmung – sie freuten sich auf den bevorstehenden Kampf, der ihnen alles abverlangen würde. Diese Fähigkeit, Gefahren von der sportlichen Seite zu nehmen, hatte nichts mit Leichtsinn zu tun und war auch durchaus kein Privileg von Kosmonauten; welcher Mensch möchte wohl leben, ohne zu wagen! Aber wagen kann man natürlich nur auf einem Gebiet,
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