Der Rabbi schoss am Donnerstag
schon zuweilen. An jedem Sabbat und an den meisten Feiertagen ist es uns sogar vorgeschrieben.»
«Würden Sie mir dann die Ehre erweisen, einmal des Abends hierher zu kommen und etwas mit mir zu trinken?»
«Mit Freuden, Doktor.»
39
Obwohl Rabbi Small lieber zu Hause arbeitete, benutzte er am Donnerstag immer das Rabbinerbüro in der Synagoge, denn dann kam die Putzfrau, die Miriam half, das Haus für den herannahenden Sabbat zu säubern, und das Geräusch des Staubsaugers sowie der Geruch der Möbelpolitur machten ihm das Konzentrieren unmöglich.
Kaum hatte er das Büro betreten, den Mantel abgelegt und hinter dem Schreibtisch Platz genommen, da klopfte es an der Tür, sie wurde aufgestoßen, bevor er antworten konnte, und herein kam Morton Brooks, der Direktor der Religionsschule. Er war ein auffallender, jugendlich wirkender Mann ungefähr ebenso alt wie der Rabbi, das heißt, Anfang Vierzig. Da er früher einmal Buchhalter im jiddischen Theater von New York gewesen war und man ihm dort, um eine Schauspielergage zu sparen, gelegentlich eine winzige, stumme Rolle gegeben hatte, betrachtete er sich als dem Theater zugehörig und schlug hier angeblich nur die Zeit tot, während er auf einen Anruf von einem Agenten wartete, der ihn wieder dorthin zurückholte. Gekleidet war er überaus modisch in einem Freizeitanzug mit ausgestellter Hose und buntem, offen stehenden Hemd. Um den Hals trug er ein farbenfrohes, lässig seitlich geknotetes Tuch.
«Warum klopfen Sie an, wenn Sie ja doch nicht warten, bis ich Herein rufe?», fragte ihn der Rabbi verdrossen.
«Warum? Ich hab Sie vom Ende des Korridors aus gesehen, daher wusste ich, dass Sie allein sind.»
«Und warum klopfen Sie dann überhaupt?»
Brooks hockte sich zwanglos auf eine Schreibtischecke, schlug die Beine übereinander und sagte: «Um Ihnen Gelegenheit zu geben, würdevoll und steif zu sein.»
Lächelnd lehnte sich der Rabbi zurück. «Na schön, ich bin so würdevoll und steif, wie es nur geht. Ist was Besonderes?»
«Ich wollte Sie nach der Entscheidung des Magistrats wegen der Verkehrsampeln fragen. Die ist doch gestern Abend gefallen, nicht wahr?»
«Ich glaube schon.»
«Dann sind Sie gar nicht hingegangen? Hören Sie, David, das war aber wichtig! Sie hätten hingehen müssen.»
«Oh, aber ich habe was Besseres getan», erwiderte der Rabbi voller Genugtuung. «Ich habe vor der Sitzung Albert Megrim aufgesucht, den Mann, der den Antrag auf Neuabstimmung gestellt hat, und der hat versprochen, seinen Antrag zurückzuziehen.»
«Wirklich?» Mit neuem Respekt sah Brooks den Rabbi an. «Wie kommt das denn?»
«Ach, es war Chief Lanigans Idee. Die Polizei ist ebenso daran interessiert, die Ampeln aufzustellen, wie wir. Daher fanden wir, es sei das Beste, wenn ich nicht mit zur Sitzung ginge, damit Megrims Antrag als strikt parlamentarische Maßnahme galt.»
Das Telefon klingelte. Es war Henry Maltzman. «Ich habe bei Ihnen zu Hause angerufen, Rabbi, aber Sie waren nicht da.» Das klang vorwurfsvoll.
«Nein, ich bin hier.»
«Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass der Magistrat für die Verkehrsampeln gestimmt hat.»
«Oh, das sind aber gute Nachrichten!»
«Ich hatte Sie bei der Sitzung zu sehen erwartet, Rabbi. Es wäre Ihre Pflicht gewesen, dort zu sein.»
«Nun, ich …»
«Aber es ist alles gut gegangen. Ich habe kurz vor Beginn der Sitzung mit Megrim gesprochen. Er war einverstanden, seinen Antrag zurückzuziehen.»
«Wie schön!»
«Ich wollte es Ihnen nur mitteilen.»
Als der Rabbi auflegte, sagte Brooks, der beide Seiten der Konversation hatte mitanhören können: «Warum haben Sie es ihm nicht gesagt, David?»
«Um mich mit ihm um die Anerkennung dafür zu streiten?»
«Um ihm zu zeigen, dass Sie Ihre Pflicht tun und dass Sie es waren, der dieses Ergebnis erzielt hat. Er hat Sie beschuldigt, Ihre Pflicht zu vernachlässigen.»
Der Rabbi zuckte die Achseln.
Brooks schüttelte mitleidig den Kopf. «David, David, Sie lernen es nie! Bei einem Job wie dem Ihren und dem meinen muss man ständig und immer gedeckt sein. Man darf nicht zulassen, dass sie auch nur eine Kleinigkeit gegen uns in die Hand kriegen. Vergessen Sie nicht, sie sind der Feind.»
«Wer sind ‹sie›?»
«Der Vorsitzende, der Vorstand, jawohl, die Gemeinde, die Eltern. Vergessen Sie nicht, wir stehen im Blickpunkt der Öffentlichkeit, das heißt, die Öffentlichkeit sucht immer etwas zu kritisieren an uns. Und das heißt, wir müssen uns wehren.» Er glitt
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