Der Rabbi schoss am Donnerstag
tun?› Glaubst du wirklich, dass er’s getan hat?»
«Nein.»
«Weil er nicht der Typ ist?»
«Jeder Typ ist zu einem Mord fähig und zu allem anderen», erwiderte er ernst. «Wer kennt die verborgenen Tiefen eines Mitmenschen? Nein, ich halte ihn nicht für schuldig, und zwar aus eben dem Grund, aus dem Lanigan ihn verhaftet hat: weil er nicht reden will. Ich meine, wenn er es wirklich getan hätte, dann hätte er sich ein Alibi zu verschaffen gesucht, oder er wäre mit einer plausiblen Erklärung gekommen, und wenn er auch nur gesagt hätte, er habe verschlafen. Aber der Polizei zu sagen, das gehe sie nichts an, lässt auf ein gutes, ein wasserdichtes Alibi schließen, auf das er verweisen kann, falls es absolut nötig ist.»
«Du meinst also, er deckt jemanden?»
«Möglicherweise. Aber ich glaube eigentlich nicht. Wenn er nur dieses eine Mal zum Freitagsgottesdienst zu spät gekommen wäre, dann könnte es möglich sein, dass er so spät kam, weil er etwas gesehen hat, vielleicht einen guten Freund, der ungefähr zur Tatzeit Jordons Haus betreten oder verlassen hat. Aber Maltzman ist am Freitag davor ebenfalls zu spät gekommen und letzten Freitag wieder. Insgesamt hat er, glaube ich, während der letzten drei bis vier Freitage nicht neben mir gesessen. Nein, nein, es muss sich hier um etwas handeln, das jede Woche zur selben Zeit stattfindet. Und er will’s nicht sagen, weil er sich schämt oder weil es ihm peinlich ist.»
«Meinst du, dass er eine Freundin hat?», erkundigte sich Miriam eifrig.
«Möglich, in Anbetracht seines Rufes. Aber ich bezweifle es. Weil ich Laura Maltzman jedes Mal auf ihrem gewohnten Platz in der ersten Reihe gesehen habe, und sie saß da von Anfang an. Hinterher, beim Imbiss, war sie dann wieder mit ihm zusammen, und alles schien zwischen ihnen in Ordnung zu sein.»
«Aber wenn sie’s vielleicht gar nicht weiß …»
«Das könnte einmal passieren. Er könnte eine wichtige Geschäftsbesprechung vorschützen und ihr sagen, sie soll schon vorgehen, er komme nach. Aber nicht jeden Freitag. Was er auch tut, ich bin überzeugt, dass sie davon weiß.»
«Mag sein … Doch, natürlich, sie muss davon wissen. Vielleicht nimmt er an einem Kursus teil.»
«Das könnte er der Polizei doch sagen. Nein, es muss etwas sein, das jeden Freitag um dieselbe Zeit stattfindet, etwas, von dem sie weiß und das sie billigt, das aber dennoch so peinlich ist, dass …» Er schnalzte mit den Fingern. «Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, Miriam!»
«Wirklich?»
«Er nimmt tatsächlich an einem Kursus teil: an einem Kursus, einer Behandlung beim Psychiater.»
«O David, ja! Genau das ist es! Henry Maltzman ist haargenau der Mann, der sich schämen würde, wenn es sich herumspräche, dass er zum Psychiater geht. Er würde fürchten, die Leute hielten ihn für verrückt. Aber das wäre doch eine Aktionsbasis für uns. Wenn du mit ihm sprechen und andeuten würdest …»
«Er würde nicht mit mir sprechen wollen», erwiderte der Rabbi nüchtern. «Selbst wenn ich ihn besuchen dürfte, würde er sofort den Mund halten, wenn er merkt, worauf ich hinaus will. Aber weißt du, es könnte sich lohnen, mit Laura zu sprechen.»
«Warum mit Laura?»
«Weil ich ihr offen sagen kann, was ich denke. Wenn ich Recht habe, besteht die Möglichkeit, dass sie mir den Namen des Arztes nennt. Und dann … Warte mal, ich fahre jetzt sofort zu ihr.»
Eine Zeit lang, nachdem ihr Mann das Haus verlassen hatte, blieb Miriam auf Grund seiner Sicherheit froh gestimmt. Dann kamen ihr Zweifel. Wahrscheinlich war Laura Maltzman genauso halsstarrig wie ihr Mann. Möglicherweise dachte sie so wie er über psychiatrische Behandlungen. Und wenn nicht, hielt sie es vielleicht für unloyal, das zu verraten, was ihr Mann so hartnäckig für sich behielt. Es musste doch eine andere Möglichkeit geben! Und dann hatte sie eine Idee. Sie griff nach dem Telefon und rief im städtischen Krankenhaus an.
«Sie haben doch sicher eine Liste der einheimischen Ärzte, nicht wahr?», erkundigte sie sich bei der Vermittlung, ängstlich bemüht, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. «Könnten Sie mir …»
«Einen Moment. Ich verbinde Sie weiter.»
Sie atmete ein paar Mal tief durch, und es gelang ihr, zu der Frau, die sich jetzt meldete, energisch zu sagen: «Ich hätte gern eine Liste der hiesigen Psychiater, die Sie empfehlen können.»
«Wer ist denn dort, bitte?»
«Mrs. Small.»
«Mrs. David Small? Die Frau des
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