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Der Raben Speise

Der Raben Speise

Titel: Der Raben Speise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F.G. Klimmek
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sein Gesicht hätte. Das hat er bis zu seinem Tod ständig wiederholt. Der arme Junge hatte nämlich noch die Kraft sich umzuwenden und konnte dem Täter ins Gesicht sehen. Und der soll ausgesehen haben wie ein Zwilling seines Opfers!«
    Nach diesen Worten breitete sich eine Stille im Raum aus, in der man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Einzig Ossenstert murmelte unter Kopfschütteln: »Wahnvorstellungen, Halluzinationen.«
    Wäre es nicht so vollkommen ruhig gewesen, keiner von uns hätte das verhaltene Knirschen in der Nähe der Tür gehört. Wir alle hielten wie auf ein geheimes Zeichen unwillkürlich den Atem an. Dirk legte mahnend einen Finger vor die Lippen und schickte sich an, lautlos auf seinen alten Posten zurückzuschleichen. Als er ihn endlich erreicht hatte und die Tür an ihrem schweren Eisenring mit einem Ruck aufriss, war dort niemand mehr.
    »Ich würde meinen Kopf nicht darauf verwetten, aber ich will verdammt sein, wenn das nicht ein Mädchen oder eine junge Frau war, die da gerade im Haupthaus verschwunden ist.«
    Ossenstert war der Erste, der sich in seiner unnachahmlichen Art zu Dirks Bemerkung äußerte. »Mit deiner Verdammnis hat es keine Eile. Da die Burg die ganze Zeit über abgeriegelt war, kommt diese Person nicht als Täter in Betracht. Und dass sie gelauscht hat, ist ein Hinweis auf gar nichts, außer auf ihre Neugier. Die werden wir doch einem Weibsbild kaum zum Vorwurf machen können.« Als Hillink etwas einwerfen wollte, fuhr er fort: »Ich weiß schon, ich weiß schon. Wenn der Junge aus der Burg schlüpfen konnte, warum nicht auch ein anderer? Sicher ein grundsätzlich richtiger Gedanke. Aber wie sollte er wieder hereinkommen – der Wagen fuhr ja leer zurück? Also«, und damit wandte er sich an den Herrn von Crange, »wie sollen wir weiter vorgehen, welcher casus hat die größere Eile? Das Problem des Bischofs ist höchst ernster Natur, doch wir werden nicht übersehen, dass Ihr Seiner Exzellenz mehr als behilflich seid. Deshalb, und damit spreche ich auch im Namen meiner Gefährten, werden wir unsere Hilfe nicht vermissen lassen. Nun denn, wie gehen wir weiter vor beziehungsweise was können wir heute Abend noch tun?«
    Wir waren am Nachmittag eingetroffen und mittlerweile neigte sich der Tag dem Ende zu. Die neue schlechte Nachricht hatte uns anfangs gefangen genommen, doch nun machte sich der anstrengende Ritt über die trügerischen Pfade bemerkbar, Aufmerksamkeit und Konzentration ließen nach und unter uns war keiner, der sich nicht ein Bett herbeigesehnt hätte. Demgegenüber hatte die schlimme Nachricht vom Mord an einem unschuldigen Kind eine so aufwühlende Kraft, dass sie uns noch eine Weile vom Schlaf abhalten würde. Daher schlug ich vor, zunächst die Schenke des Dorfes zu besuchen, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Es würde uns erstens ablenken und zweitens bestand die Aussicht, von den Dörflern weitere Informationen über den Mord zu erhalten, denn nirgends plaudert es sich so unverhohlen wie beim Branntwein im Kreise von gleichgesinnten Zechern.
    Der Graf lehnte das Angebot ab, uns zu begleiten, ließ uns aber persönlich hinaus. Zum Abschied gab er uns einen guten Rat. »Seid vorsichtig im Umgang mit den Leuten. Es sind einfache Menschen, die ihr Leben lang viel gearbeitet und wenig gedacht haben. Durch den gewaltsamen Tod des Kindes sind sie entsetzt und verstört zugleich. Sie murren und suchen die Schuld bei den Fremden, die unter meinem Dach leben, also auch bei euch. Seid auf der Hut!«

    Die Dorfschenke stand in der Nähe der eingezäunten Wiese, auf der üblicherweise der Pferdemarkt stattfand, für den Crange so berühmt war. Jetzt war der Platz schlammbedeckt und leer und ein scharfer Wind pfiff.
    Den ganzen Weg über hatten uns Raben begleitet in der Hoffnung, etwas könnte für sie abfallen. Sie hielten sich zwar vorsichtig auf Distanz, doch ich war mir sicher, hätten sie ein wehrloses Opfer gefunden, sie hätten sich in ihrem Hunger darüber hergemacht. Normalerweise liebe ich die Tiere und hasse die Menschen, die ihnen etwas zu Leide tun. Doch zu Raben, Krähen und Dohlen habe ich ein zwiespältiges Verhältnis. Immer, wenn ich sehe, wie sie auf den Galgen oder Rädern hocken und die Augen aus den Schädeln der Gehenkten picken, wenn ich sie dabei beobachte, wie sie in der noch warmen Asche eines Scheiterhaufens nach Resten des Verbrannten kratzen, überfällt mich ein Schaudern. Und wenn Ihr nun meint, meine

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