Der Rache dunkle Saat - Booth, S: Rache dunkle Saat - One Last Breath
ihm gesehen, doch ihnen hatte der Funken Menschlichkeit gefehlt, der es ihr vielleicht ermöglicht hätte, sich ein Bild von ihm als echtes, lebendiges Individuum zu machen. Alles, was sie vor ihrem inneren Auge sah, war eine dunkle, formlose Gestalt, die
ihr Sichtfeld durchquerte und dabei niemals innehielt, um sich einordnen zu lassen, sondern immer wieder entwich.
Das Versagen ihrer Phantasie frustrierte Fry. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, was sich in Mansell Quinns Kopf abgespielt hatte. Bislang gab es noch zu wenige Punkte, die sie miteinander hätte verbinden können.
Doch es war noch ein anderer Häftling zur gleichen Zeit wie Quinn entlassen worden: Richard Wakelin, fünfundzwanzig, aus Derby. Die beiden Männer waren gesehen worden, wie sie sich beim Verlassen des Gefängnisses miteinander unterhielten. Vielleicht konnte ihr Wakelin einen Anhaltspunkt dafür liefern, was Quinn an jenem Morgen durch den Kopf gegangen war.
Ben Cooper hatte seinen Wagen im Schatten eines der Ahornbäume auf dem Parkplatz von Castleton abgestellt und hoffte, dass es sich darin nicht wie in einem Hochofen anfühlen würde, wenn sie wieder einstiegen. Eine Familie hatte sich ihrer Schuhe und Sandalen entledigt und watete durch den Bach neben dem Parkplatz, während ein Pärchen seinen beiden hechelnden Hunden erlaubt hatte, zur Abkühlung ins Wasser zu springen.
Cooper beschloss, dass sie ins Ortszentrum von Castleton gehen und sich ein Eis kaufen sollten. Er hatte Lust auf ein Magnum mit Zartbitterschokolade, und die Mädchen begleiteten ihn, um ihm seinen Willen zu lassen. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass sie darauf bestehen würden, den Hügel zum Peveril Castle zu erklimmen.
»Das ist ein langer Anstieg«, sagte er.
»Wir können doch nicht nach Castleton fahren, ohne uns die Burg anzusehen«, erwiderte Amy, als handelte es sich um eine Selbstverständlichkeit. »Schau doch mal, wie viele Leute hinaufgehen. Einige von ihnen sind sogar noch älter als du, Onkel Ben.«
Als sie oben auf dem Hügel ankamen, war Cooper schweißgebadet. Das Gras war warm von der Sonne, und er war froh, sich hinlegen zu können, während die Mädchen den verfallenen Bergfried der Burg erkundeten. Aus der Nähe wirkte der Turm trist und verlassen. Eine Seite war im Lauf der Jahrhunderte weggebröckelt, und Einheimische hatten die Steine der Ruine mitgenommen, um sie als Baumaterialien für ihre Häuser zu verwenden.
Den Reiseführern zufolge hatte ein unehelicher Sohn William des Eroberers die Burg ursprünglich erbaut, um seine örtlichen Bergbauinteressen zu wahren und seine Jagdgründe zu schützen. Cooper hoffte, dass die Mädchen nicht nachfragen würden und er dann vielleicht erklären musste, was ein uneheliches Kind ist.
Nachdem er wieder zu Atem gekommen war, ging er an der Wand entlang und blickte ins Tal hinab. Ein Pärchen mittleren Alters sah zu ihm herauf und winkte. Dann bemerkte Cooper zwei Männer an einer geschützten Stelle in der Nähe des Eingangs zum Tal. Er konnte sie nicht klar erkennen, sah jedoch, dass einer der beiden trotz der Hitze eine schwarze Regenjacke mit Kapuze trug. Er beobachtete sie eine Weile und wünschte sich, weniger argwöhnisch zu sein, überlegte aber trotzdem, ob es sich um Pädophile handeln könnte, als er Kinderstimmen im Tal hörte.
Die beiden Männer waren offenbar harmlos, wenngleich eine gewisse Spannung zwischen ihnen zu herrschen schien, da der eine stand und der andere saß, als stritten sie sich. Vielleicht handelte es sich ja um ein schwules Pärchen – die beiden hätten sich einen Ort aussuchen sollen, der nicht so gut einzusehen war.
Im Kalksteinbruch begann eine Sirene zu heulen. Irgendwo in den riesigen Gruben, eine halbe Meile hinter dem Zementwerk, war man mit den Vorbereitungen dafür beschäftigt, noch mehr Kalkstein aus dem Bradwell Moor zu sprengen. Ein oder
zwei Minuten nach dem Warnsignal hallte eine heftige Detonation in den Tiefen des Hanges wider wie ein einzelner Schlag einer Basstrommel. Eine weiße Staubwolke trieb über den Rand des Steinbruchs.
Das Peak-Cavern-Höhlensystem war nicht weit von dem Loch entfernt, das gesprengt worden war, um das Zementwerk zu füttern. Vermutlich waren dabei in südöstlicher Richtung verlaufende unterirdische Gänge in der Wand des Steinbruchs sichtbar geworden. Man konnte nicht wissen, wie viele unentdeckte, mit Stalaktiten gespickte Kammern im Lauf der Jahre bei Sprengungen für immer
Weitere Kostenlose Bücher