Der Rache kaltes Schwert - Crombie, D: Rache kaltes Schwert - And Justice there is None
nicht doch. Er hat es nicht so gemeint …«
»Es tut mir Leid, aber ich muss jetzt gehen.« Angel warf ein paar Münzen auf den Tisch und stürmte hinaus.
Sie hüllte sich in ihren Mantel und stapfte die Portobello Road entlang zur U-Bahnstation. Auf dem Gehsteig wirbelten raschelnd gelbe Blätter umher. Der Herbst war da, und sie dachte wieder daran, wie glücklich sie sich schätzen konnte, nicht noch einen weiteren Winter mit nichts als einem Petroleumofen durchstehen zu müssen.
Sie hatte Betty und Ronnie nicht erzählt, dass sie bei Karl eingezogen war – was Ronnie dazu gesagt hätte, konnte man nur ahnen. Aber sie musste an sich selbst denken, musste ihr Leben leben, auch wenn das hieß, dass sie die Freundschaft mit Betty und Ronnie aufgeben musste. Betty hatte schließlich ihren Colin, und Ronnie … Warum sollte sie sich darum kümmern, was Ronnie dachte?
Was war schon dabei, wenn sie und Karl und ihre Freunde ab und zu ein paar Pillen schluckten? Das machte doch jeder. Blaue, rote, grüne, gelbe – die kleinen Kapseln leuchteten in allen Regenbogenfarben, und sie halfen einem, nachts wach zu bleiben, und dann halfen sie einem, einzuschlafen, wenn man immer noch high war. Und jeder, der etwas auf sich hielt, rauchte Gras. Zu jeder guten Party gehörten ein paar Joints.
Sie stieg am Sloane Square aus und ging in westlicher Richtung die King’s Road entlang. Neue Boutiquen – man musste darauf achten, immer »Boutique« zu sagen und nicht etwa »Laden« – schossen wie
Pilze aus dem Boden. Sie ließ das bunte Treiben und die ganze Energie auf sich wirken, und allmählich begann ihr Zorn in einen Entschluss zu münden.
Sie blieb vor einem Friseursalon stehen, stützte sich mit den Händen gegen die Scheibe und spähte hinein. Ja, das war genau das, was ihr vorschwebte. Was hatte es für einen Sinn, noch länger an den Überbleibseln ihres früheren Lebens festzuhalten?
Eine Stunde später verließ sie den Salon wieder. Ihr Haar hatte jetzt einen silbrig-goldenen Ton und war über den Ohren kurz geschnitten. Ein modisches Op-Art-Kleid aus einer nahen Boutique und hochhackige Riemchensandalen vervollständigten ihren neuen Look. An diesem Abend würde Karl mit ihr ins »Speakeasy« gehen. Es war einer der angesagtesten Clubs in der Stadt – sie hatte gehört, dass Cilla Black heute dort sein würde -, und sie wollte, dass alles sich zu ihr umdrehte, wenn sie durch die Tür trat.
Sie hatte das pummelige kleine Polenmädchen aus Portobello abgestreift wie eine Schlange ihre alte Haut, und sie war fest entschlossen, es zu vergessen und ihren Weg zu machen.
12
Die Pubs in der Portobello Road waren schon immer be liebte Treffpunkte. Ladenbesitzer, Schreiner, Polsterer, Gärtner, Angestellte, Standinhaber, jeder, der in der Stra ße wohnte oder arbeitete, konnte dort Unterhaltung und Gesellschaft finden. Das älteste erhaltene Wirtshaus, das »Sun in Splendour« nahe Notting Hill Gate, wurde 1850 erbaut und warb mit dem Bild einer großen aufgehenden Sonne mit goldenen Strahlen.
Whetlor und Bartlett, aus: Portobello
Am Morgen von Heiligabend, zehn Tage nach dem Mord an Dawn Arrowood, wartete Gemma vor der Tierarztpraxis in der All Saint’s Road auf Bryony. Es war bitterkalt, der Himmel war ebenso trüb wie am Vortag, und die Luft roch noch stärker nach Schnee. Gemma schmiegte sich in den leicht zurückgesetzten Hauseingang, um sich vor dem kalten Wind in Sicherheit zu bringen.
Sie seufzte erleichtert auf, als sie Bryony Poole über die Straße auf sich zukommen sah. Mit ihren langen Schritten hatte sie die Entfernung zwischen ihnen rasch überbrückt.
»Gemma! Was machen Sie denn hier? Ist mit Geordie alles in Ordnung?« Bryony trug einen langen gestreiften Schal und eine dazu passende Wollmütze in Gelb- und Lilatönen, und irgendwie gelang es ihr, darin nicht unmöglich auszusehen.
»Geordie geht es gut. Er scheint sich sogar erstaunlich schnell an seine neue Umgebung zu gewöhnen.« Tess war wie
immer den Jungs in ihr Schlafzimmer gefolgt, doch Geordie war bei Gemma und Duncan geblieben und hatte sich am Fußende ihrer Matratze zusammengerollt, als hätte er schon immer dort geschlafen.
»Wollen wir nicht vielleicht die Regel einführen, dass Möbel tabu sind?«, hatte Kincaid ein wenig irritiert gefragt.
»Tess schläft ja auch bei Kit.«
»Stimmt. Und als wir Kinder waren, haben unsere Hunde auch immer in unseren Betten geschlafen. Ich sage ja nichts dagegen – ich meine nur,
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