Der Rache kaltes Schwert - Crombie, D: Rache kaltes Schwert - And Justice there is None
haben soll? Das ist -«
Gemma hob die Hand, um Bryonys Protest zum Verstummen zu bringen. Jetzt hatte sie das letzte Stück des Puzzles gefunden, und es passte. Wie hatte sie es nur bis jetzt übersehen können? »Mr. Mitchell, Sie sagten doch, Sie seien bei Ihrer Großmutter aufgewachsen. Wie haben Sie Ihre Eltern eigentlich verloren?«
Er erwiderte ihren Blick. »Oh, ich denke, das wissen Sie schon. Und Bryony übrigens auch, denn Wesley hat vor einer halben Stunde allen die ganze Geschichte erzählt. Bryony,
bring mir doch mal eben die Kräuter«, fügte er hinzu und deutete auf den Kochtopf.
Instinktiv wollte Gemma sie warnen, doch bevor sie etwas sagen konnte, war Bryony schon von ihrem Schemel aufgestanden und zu ihm hingegangen. Marc schlang den Arm um ihren Leib und hielt ihr mit der anderen Hand das Messer an den langen, schlanken Hals. Die Schüssel mit den Kräutern glitt Bryony aus der Hand und zerbrach auf dem Betonfußboden in tausend Scherben.
»Marc! Nicht -« Gemma zuckte zusammen, als ihr Telefon zu läuten begann. Automatisch griff sie in die Tasche, doch Marcs stummes Kopfschütteln ließ sie erstarren.
»Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun.« Marc packte Bryony noch fester, bis sie leise wimmerte. »Sie wollen doch nicht, dass ich ihr wehtue, oder? Schalten Sie das Handy aus.«
Gemma nahm das Telefon aus der Tasche. Sie drückte auf eine Taste, und das hartnäckige Klingeln brach ab. Dann ließ sie es in die Tasche zurückgleiten. Sie betete, dass er es ihr nicht abnehmen würde, und bemühte sich, mit ruhiger Stimme zu sprechen. »Ich werde alles tun, was Sie sagen, Marc. Aber tun Sie ihr nichts.« Die Bilder der blutüberströmten Leichen von Dawn und Karl Arrowood tanzten vor ihren Augen, und sie hörte das Hämmern ihres eigenen Pulsschlags in den Ohren. Er war verrückt, sie war unverzeihlich dumm gewesen – und nun lag Bryonys Leben in seinen Händen.
Ottos Café war leer, bis auf eine einsame ältere Frau, die bei ihrem Tee saß. Ihr Windhund lag ausgestreckt neben ihrem Stuhl.
»Irgendjemand da?«, rief Kincaid, worauf Otto Popov aus der Küche kam.
»Was kann ich für die Herren tun? Sie sind doch Superintendent Kincaid, nicht wahr?«
»Mr. Popov, heißt einer von Ihren Stammgästen vielleicht
Mitchell? Sie wissen schon, von der Gruppe, die sich regelmäßig hier trifft?«
»Sie müssen Marc Mitchell meinen. Die waren heute Nachmittag alle schon hier – Marc, Bryony, Alex und Fern. Wesley hat ihnen allen von den neuesten Entwicklungen berichtet.«
»Marc, der Typ, der die Suppenküche leitet? Heiliger Strohsack!« Kincaid hatte den Mann kennen gelernt, als er sie zu Hause besucht hatte, aber seinen Nachnamen hatte er nicht registriert, falls Marc ihn überhaupt genannt hatte. »Wo ist sein Laden?«
»Sie müssen nur immer die Portobello Road langgehen, bis kurz vor der Autobahnbrücke. Gleich neben dem Eingang der alten Portobello School.«
»Ideale Bedingungen«, bemerkte Cullen. Die Erregung ließ seine Stimme gepresst klingen. »Er wohnt allein, er hat die Möglichkeit, Sachen zu waschen, und eine Küche, in der Blutspuren nicht weiter auffallen würden. Und wenn Wesley ihm gesagt hat, dass wir das mit seinen Eltern herausgefunden haben, dann wusste er, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein konnte, bis wir die Zusammenhänge durchschauen würden.«
»Wessen Eltern?«, fragte Otto Popov verwirrt. »Wovon reden Sie eigentlich?«
Aber Kincaid hatte schon sein Handy hervorgeholt und wählte wieder Gemmas Nummer. Diesmal wurde der Anruf direkt zur Mailbox umgeleitet. »Warum zum Teufel hat sie ihr Handy ausgeschaltet?«, brummte er, während er auf die Taste drückte und gleich darauf die Nummer des Reviers Notting Hill wählte. Als er Melody Talbot am Apparat hatte, fragte er ohne lange Vorrede: »Wo ist Gemma? Ist sie bei Ihnen?«
»Nein.« Melody klang überrascht und ein wenig besorgt. »Sie ist vor ungefähr einer Stunde gegangen. Sie hat nicht gesagt, wo sie hinwollte. Haben Sie eine Ahnung, wo sie sein könnte?«
Kincaid redete sich ein, dass Gemma wer weiß wo hingegangen sein könnte – vielleicht musste sie eine Besorgung machen, vielleicht wollte sie nach den Kindern sehen oder sich einen Kaffee holen – doch keine dieser logischen Vermutungen konnte die Panik abmildern, die ihn gepackt hatte.
»Ich bin nicht verrückt, wissen Sie«, sagte Marc, als habe er ihre Gedanken gelesen.
»Dann lassen Sie uns gehen. Scotland Yard ist schon
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