Der Rache kaltes Schwert - Crombie, D: Rache kaltes Schwert - And Justice there is None
Lieblingsbuch des Jungen. Jetzt saß er mit einem Glas von dem Chardonnay, den er in Gemmas Kühlschrank gefunden hatte, an ihrem halbmondförmigen Küchentisch.
Während er sich in der Küche umsah, fiel ihm auf, wie sehr Gemma diesem Raum den Stempel ihrer Persönlichkeit aufgedrückt hatte. Hier hatte sie Geborgenheit und Trost gefunden, wenn sie das Gefühl gehabt hatte, dass sie den Halt im Leben verlor – würde er ihr eine ähnliche Sicherheit bieten können, wie sie sie hier gefunden hatte? Kein Zweifel, bei ihrer beruflichen Belastung hatten sie beide gewisse Fixpunkte dringend nötig … und dieser Fall, der ihr heute Abend aufgehalst worden war, würde eine enorme Herausforderung für sie bedeuten, das hatte er von Anfang an gewusst. Allein der
Medienrummel würde sie stark belasten, insbesondere, wenn es ihr nicht gelänge, innerhalb des Zeitraums, der den Journalisten angemessen erschien, einen Verdächtigen vorzuweisen.
Tat er wirklich das Richtige, wenn er sie dazu überredete, mit ihm in ein Haus zu ziehen, das so nahe an ihrem Revier lag, dass sie sich der allgegenwärtigen Arbeit kaum würde entziehen können – und wenn er sie auch noch zu einer so schnellen Entscheidung drängte? Aber er fühlte sich nun einmal zum Handeln verpflichtet; jetzt, da sie endlich eingewilligt hatte, befürchtete er, dass jedes Zögern von seiner Seite dazu führen könnte, dass sie es sich noch einmal anders überlegte.
Und Kit durfte er schließlich auch nicht vergessen. Das Schuljahr seines Sohnes endete in einer Woche, und wenn Kit von Grantchester nach London zog, wollte Kincaid, dass sie gleich so anfingen, wie sie in Zukunft leben wollten – als eine Familie. Er hegte immer noch die Befürchtung, dass der Witwer seiner Exfrau, Ian McClellan, der immer noch das Sorgerecht für Kit hatte, es sich noch einmal anders überlegen und sich weigern könnte, Kit in Kincaids Obhut zu lassen, wenn er Anfang des Jahres nach Kanada ging, um dort eine Dozentenstelle anzutreten.
Dann waren da auch noch die Eltern seiner Exfrau, die der Meinung waren, dass sie das Sorgerecht für ihren Enkel erhalten sollten. Leider war Eugenia Potts ebenso egoistisch wie hysterisch veranlagt, und als sie Kit gezwungen hatte, bei ihr zu wohnen, war er davongelaufen. Ian hatte den Großeltern nur einen beaufsichtigten Besuch im Monat zugestanden, und der nächste Termin war der Freitag nach Weihnachten. Eugenia hatte sich für die steife Förmlichkeit eines Nachmittagstees im Brown’s Hotel entschieden – nicht gerade die Art von Freizeitbeschäftigung, die ein Zwölfjähriger sich freiwillig aussuchen würde.
Und sie würde auch nicht erfreut sein, Kincaid zu begegnen,
den sie verachtete, und von der Veränderung in Kits Lebensumständen zu erfahren. Wie ein Damoklesschwert hing Eugenias Drohung über ihnen, tatsächlich die rechtlichen Schritte einzuleiten, von denen sie regelmäßig sprach. Am Ende würde sie vielleicht noch das Sorgerecht für Kit erstreiten.
Nun, damit würde er sich auseinander setzen müssen, wenn es so weit war. Wenn Kincaids Job ihn nicht schon gelehrt hätte, dass es im Leben kaum so etwas wie wirkliche Gewissheit gab, dann hätte er es aus dem tragischem Tod seiner Exfrau gelernt.
Er dachte an die junge Frau, die sie an diesem Abend gesehen hatten – die Frau, deren Leben so unerwartet ausgelöscht worden war. Bei diesem Gedanken stand Kincaid auf und kippte den Rest des Weins in den Ausguss. Er löschte alle Lichter bis auf die Nachttischlampe, dann ging er zum Fenster, zog das Rollo hoch und blickte in den dunklen Garten hinaus. Was ihm am meisten Sorgen bereitete, war, dass er vor weniger als zwei Monaten schon einmal einen Mord wie diesen erlebt hatte.
3
Wenn man ein Bild von Notting Hill in den frühen sechziger Jahren sieht, fällt es schwer zu glauben, dass es derselbe Ort sein soll, den man heute vor sich hat. Heutzutage ist Notting Hill ein wohlhabendes Viertel mit sanierten Wohnungen für die Besserverdienenden. Man muss nur dreißig Jahre zurückgehen, und schon findet man sich in einem riesigen Elendsviertel mit überfüllten Mietshäusern, die in Ungeziefer und Müll ersticken.
Charlie Phillips und Mike Phillips, aus:
Notting Hill in den Sechzigern
Der warme, feuchte Atem eines Hundes weckte sie. Bryony schlug ein Auge auf und erkannte verschwommen die rosafarbene Zunge von Duchess, ihrem Golden-Retriever-Mischling, die eine Handbreit vor ihrer Nase baumelte.
»Was ist denn, mein
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