Der Rache Suesser Klang
nun gegangen sein würde. Sie war aus ihrem Versteck gekrochen, war in die Wohnung hinaufgeschlichen, doch das Geld war fort gewesen. Und ein Polizist hatte auf sie gewartet.
Wo ist Ihr Baby?
Es ging ihnen nur um das verdammte Balg.
Wo ist Miranda? Haben Sie auch sie umgebracht?
Sie hörte die Fragen noch so deutlich im Kopf, als sei es gestern gewesen.
Zehn Jahre später war sie als freie Frau aus dem Hillsboro-Gefängnis marschiert. Nur, dass sie nicht wirklich frei gewesen war. Das würde sie erst sein, wenn Randi Vaughn wusste, wie es war, sich verstecken zu müssen. Sich fürchten zu müssen. Wie es war, ohne Essen und Trinken auskommen zu müssen. Sich dem Willen von Männern beugen zu müssen, die tun konnten, was immer sie wollten, weil sie größer und stärker waren.
Morgen Abend würde dieser Keller zu Randi Vaughns privater Hölle werden.
Aber heute war es ein guter Platz, um das Mädchen zu verstecken. Sie würde sich hüten, die beiden noch einmal zusammen allein zu lassen. Sie wandte sich um und heftete ihren Blick auf Scarface, die mit gefesselten Händen und Füßen auf dem Boden saß. Ihre dunklen Augen über dem Klebeband, das ihr den Mund zuklebte, waren trotzig und hasserfüllt.
Um nicht noch einmal eine böse Überraschung zu erleben, hatte Sue das Band ganz um den Kopf gewickelt. Dreimal. Dieses Mal dürfte es verdammt schwer sein, es zu lösen. »Ich hoffe, du fürchtest dich nicht vor Mäusen«, sagte sie und sah befriedigt, wie der Blick des Mädchens nervös umherhuschte. Sie zerrte sie auf die Füße und zog sie dorthin, wo früher der Heizungskeller des Hauses gewesen war. »Ich hole dich später wieder ab.«
Ocean City, Maryland
Donnerstag, 5. August, 13.45 Uhr
Detective Janson wartete in seinem Büro in Ocean City auf sie, und sowohl er als auch Sheriff Eastman standen auf, als Lou eintrat. »Sie haben sich beeilt«, sagte Eastman ohne Begrüßungsfloskel. »Wir haben eine Viertelstunde, bevor Lewis’ Anwalt hier eintrifft.«
Dann sah er sie ungläubig an. »Habe ich das richtig verstanden, dass Chicago vier Leichen hat, die auf das Konto dieser Frau gehen?«
Lou setzte sich auf eine Stuhllehne. »Ja. Vier Leichen in drei Tagen. Alle Kopfschüsse, alle die gleiche Waffe.«
»Dieselbe Methode wie bei meinen zwei«, sagte Janson. »Rickman und Samson.«
»Aber eine andere als Ihr Bursche im Schuppen«, warf Eastman ein. »Wie wollen Sie denn etwas von alldem Lewis anhängen?«
»Wollen wir gar nicht.« Lou rieb sich den Nacken, der durch die lange Fahrt steif geworden war. »Wir wollen ihm damit eigentlich nur zeigen, wie eiskalt seine Schwester ist. Sie wird nicht kommen und ihn auslösen. Sie hat einen Pass und will das Land verlassen.«
Ein Last-Minute-Update bei Mitchell hatte ihr diese Information verschafft.
»Die Polizei in Chicago hat zwar noch keine Buchung gefunden, aber sie haben Grund zu glauben, dass sie nach Frankreich will. Sie will Lewis die Entführungsgeschichte ausbaden lassen.«
»Das eigene Kind«, knurrte Eastman. »Die Verteidiger werden vor Entzücken Luftsprünge machen. Von wegen Entführung, werden sie jauchzen.«
»Ich habe nicht vor, Lewis zu erklären, dass das Kind sein Neffe ist, solange ich das nicht muss. Und Lewis ist ja davon ausgegangen, dass er eine Straftat begangen hat. Die Absicht können wir ihm durchaus anhängen.«
Eastman zuckte die Achseln. »Tja, heute Nachmittag läuft gerade nichts Richtiges im Fernsehen. Ich bin also dabei.«
Lou nahm ihre Notizen mit einem leisen Lachen auf. »Plaudern wir ein wenig mit Mr. Lewis.«
Fünfzehn Minuten später saßen sie und Janson Lewis und seinem Anwalt gegenüber an einem Tisch. Eastman lehnte an der Wand. Lewis wirkte, als habe er schon bessere Zeiten gesehen. Seine Verletzungen heilten, aber die Müdigkeit hatte eingesetzt. Die ständige Wachsamkeit, die erforderlich war, um die Avancen der Mitinsassen abzuwehren, forderte anscheinend ihren Tribut.
»Gut, machen wir es kurz, einverstanden?«, begann Lou, bevor der Anwalt es sagen konnte. Lou sah Lewis direkt in die Augen. »Mr. Lewis, wir wissen von Ihrer Schwester, der Entführung und dem Lösegeld.« Befriedigt sah sie, wie Lewis erbleichte. »Wir wissen auch von dem Mann, der Sie besucht hat. Wir wissen, dass er das Haus Ihrer Verwandten niedergebrannt hat. Übrigens befanden diese sich noch darin.«
»Wow«, sagte der Anwalt. »Was für spannende Krimis haben Sie denn gelesen? Oder haben Sie irgendeinen Beweis für Ihre
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