Der Rache Suesser Klang
Manchmal gab sie ihm ein Stück Brot. Oder etwas Käse. Wenn er nicht aß, würde er verhungern.
Alec glitt vom Bett. Wartete. Aber sie wachte nicht auf.
Er lebte noch. Und war vollkommen ausgehungert. Er konnte nur hoffen, dass sein Magen nicht knurrte und sie weckte, wie es immer Cheryl geweckt hatte.
Cheryl.
Seine Brust schmerzte plötzlich, und er wünschte sich beinahe, wieder in Dämmerzustand zu versinken. Dann würde er nicht über Cheryl nachdenken müssen. Würde sie nicht vor seinem inneren Auge sehen müssen. Cheryl war tot. Er hatte die Leiche gesehen. Sie hatte Cheryl am Straßenrand hinausgeworfen wie einen Sack Müll. Er war so … so unglaublich wütend gewesen. Seine Augen brannten, als er daran dachte. Als er daran dachte, dass er nichts hatte tun können, um sie daran zu hindern.
Er musste etwas unternehmen, um sie aufzuhalten. Er musste etwas tun. Irgendwas.
Aber zuerst musste er essen, oder er würde wieder das Bewusstsein verlieren. Er bewegte sich vorwärts. Wartete. Er wusste, dass in alten Häusern Bodenbretter knarrten, aber er wusste nicht, ob sie es hier taten. Nun, er würde es wissen, sobald sie erwachte. Aber sie tat es nicht, und so machte er einen weiteren Schritt und noch einen, bis er draußen im Flur war, am Badezimmer vorbei und auf der Treppe.
Er hielt sich am Geländer fest und ging langsam und behutsam die Treppe hinab. Sein Kopf fühlte sich schwammig an, und mehr als einmal wäre er beinahe gefallen, aber dann war er unten und erlaubte sich ein kleines Hochgefühl. Hier unten war es ebenfalls dunkel, aber am Ende des Korridors war Licht. Keine Glühbirne.
Ein Computer. Jemand hatte einen Computer eingeschaltet. Nun konnte er wenigstens herausfinden, was für ein Datum heute war. Er schlich – hoffentlich lautlos – bis zur Tür und spähte hinein.
Die Küche. Auf dem Tisch stand ein Laptop. Und jemand arbeitete daran. Verdammt. Er musste ein Geräusch gemacht haben, denn die Person sah auf.
Er hielt den Atem an. Sie war es. Die Person aus seinen Träumen. Oder Alpträumen. Er wusste es nicht. Manchmal, wenn er aufwachte, saß sie neben ihm und strich ihm über das Haar. Beim ersten Mal hatte er geschrien. Lang und laut in seinen Gedanken, wo nur er es hören konnte. Sie hatte eine Narbe. Eine hässliche, rote, erschreckende Narbe. Aber sie hatte gelächelt. Wenigstens ansatzweise. Und dann hatte sie ihn gestreichelt, wie seine Mom es immer getan hatte. Also war er beim nächsten Mal etwas weniger vorsichtig gewesen, danach noch etwas weniger. Sie mochte ja mit der Frau zusammenarbeiten, aber sie hatte nettere Augen.
Sie lächelte auch jetzt wieder, legte den Finger auf die Lippen und deutete in ihren Schoß. Alecs Blick wanderte von ihr zum Kühlschrank. Er musste essen, und zwar bald. Und sie sah nicht böse aus, also trat er ein und drückte sich an den Schränken entlang, bis er sehen konnte, worauf sie zeigte. Ein Baby. Sie hatte ein Baby. Er sah auf und begegnete ihrem Blick. Sah, dass ihre Lippen sich bewegten. Sie redete mit ihm, aber er konnte es nicht verstehen.
Er hasste das. Er hasste es, nicht zu wissen, was die Leute zu ihm sagten. Oder ob sie über ihn sprachen.
Cheryl hatte gesagt, er sei paranoid, die Leute würden nicht über ihn reden. Er hatte ihr nicht geglaubt, aber das war ja nun kein Problem mehr, nicht wahr. Cheryl war tot, und wenn er nicht bald aß, dann würde auch er sterben. Alec zeigte auf den Kühlschrank, und die vernarbte Frau nickte. Der Schrank war voller kleiner Plastikschüsseln. Und da war auch ein Teller mit Hähnchenkeulen. Plötzlich glaubte er, alle aufessen zu können. Er nahm eine und warf ihr einen raschen Blick zu. Sie sah nicht ihn an, sondern konzentrierte sich auf den Computer. Also schlang er das Bein herunter, dann das zweite, das dritte. Einen Moment später war ihm speiübel.
Er hatte zu schnell zu viel gegessen. Er brauchte Wasser. Sofort. Oh nein. Nein!
Evie hielt den Blick auf den Schirm fixiert, um ihn nicht zu verschrecken. Versuchte, nicht hinzusehen, als er drei Hähnchenschenkel verschlang, als habe er seit Tagen nichts gegessen und wüsste auch nicht, wann es das nächste Mal etwas gab. Das war ein Gefühl, an das sie sich gut erinnerte. Also ließ sie ihn in Ruhe, sah nicht hin, bis er schwer zu atmen begann und sie Würgegeräusche hörte. Sie fuhr gerade noch rechtzeitig herum, um zu sehen, wie das Hähnchenfleisch aus seinem Mund quoll. Mit leichenblassem Gesicht sank Erik auf dem
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