Der Rache Suesser Klang
die Tränen über die Wangen rannen.
Deine Mutter wird das ausbaden müssen.
Der Junge wurde durch die Medikamente offenbar nicht so beeinträchtigt, wie sie geglaubt hatte. Und sie hatte nur noch zwei Pillen. Sie würde bis zum Morgen warten müssen, sie ihm zu geben, damit er schliefe, wenn sie unterwegs war, um ihren Auftrag für Fred zu erledigen. Sie würde das Zeug wieder mit Benadryl hinunterspülen. Das schien mehr Wirkung zu zeigen. Allerdings konnte sie den Jungen nicht mehr vierundzwanzig Stunden lang betäuben. Nicht jetzt, da Scarface ihn mit klarem Kopf erlebt hatte. Verdammt.
Sie musste eine andere Möglichkeit finden, um ihn zu disziplinieren. Sie dachte an den folgenden Tag. An das, was sie für Fred zu tun hatte. Für die Vaughns. An die Sendung, die die Vaughns gefügig machen würde. Und im Grunde den Jungen auch.
Annehmen, anpassen, verbessern.
Ein verdammt gutes Motto.
Chicago
Dienstag, 3. August, 5.00 Uhr
Frustriert rieb Ethan sich die Augen. Er hatte dieselben Bänder immer und immer wieder abgespielt, aber es hatte nichts genützt. Stunden von Filmmaterial, aber keine Spur von Alec. Er und die Frau waren am Freitagmorgen angekommen und anscheinend spurlos verschwunden. Säuberlich stapelte Ethan die Videos, die er in der Nacht bereits durchgesehen hatte. Ein zwölfjähriger Junge verschwand nicht einfach so von der Bildfläche, also musste es eine andere Erklärung geben.
Ich suche wahrscheinlich an der falschen Stelle.
Er würde noch einmal zurückkehren und weitere Bänder sichten, sobald er in der Umgebung des Copy-Stores nach der Frau gefragt hatte.
Aber zunächst brauchte er eine Pause. Ein paar Meilen laufen hätte seine Gedanken freier gemacht. Aber er wollte Dana in weniger als einer Stunde treffen, also musste das Laufen warten.
Dana. Ethan beäugte den Laptop, der zugeklappt neben dem Videomonitor stand. Bush hatte WLAN im Büro, so dass Ethan ins Netz gehen konnte, wann immer er wollte. Dana kannte Bush. Sie hatte den Securitymanager gestern Abend mit vollem Namen genannt. Sie aß oft genug in Bettys Coffeeshop, dass die Frau ihr Lieblingsgericht kannte.
Offenbar verbrachte Dana Dupinsky viel Zeit im Busbahnhof. Und mehr, als es gewöhnlich brauchte, um schusselige Freundinnen abzuholen. Mit zusammengezogenen Brauen klappte Ethan den Laptop auf und startete den Browser. Wenn er ehrlich war, hatte er es die ganze Nacht aufgeschoben, weil er sich ein wenig vor dem fürchtete, was er finden würde. Ethan loggte sich in die Personendatenbank ein, die er meistens benutzte, wenn er Leute überprüfen wollte, und hielt plötzlich inne, die Hand über der Tastatur. Wenn er den Namen eintippte, gab es kein Zurück. Falls ihm nicht gefiele, was er las, war es vermutlich vorbei. Aber dann dachte er an Danas Augen, an die Herzlichkeit und die Klugheit und schüttelte das Unbehagen ab. Es konnte nichts geben, was ihm nicht gefiel, dessen war er sich sicher. Also gab er den Namen ein und wartete.
Und blinzelte, als die Ergebnisse auf dem Schirm erschienen. Sie war Fotografin. Zumindest etwas in der Art. Sie hatte bei der Steuer im vergangenen Jahr $ 2867 Einkommen angegeben. Als verdienende Fotografin war sie eine Null. Nur gut, dass ihre erste Sorge auch gar nicht der Fotografie zu gelten schien. Ihr Name tauchte als Leiterin eines Non-Profit-Unternehmens auf. Ein Haus für Ausreißer. Ethan dachte daran, was sie am Abend zuvor über Evie gesagt hatte.
Sie ist eine Ausreißerin. Sie gehört jetzt zur Familie.
Und jetzt verstand er auch, warum sie kein Geld hatte. Sie steckte all ihren Gewinn in ihr Geschäft, hatte sie gesagt. Was bedeutete, dass sie sich nur wenig bis gar kein Gehalt gönnte, damit das Geld ins Haus investiert werden konnte.
Er hatte Recht gehabt. Sie konnte tatsächlich zu gut zuhören – es musste ein Teil ihrer Arbeit sein. Erleichterung durchströmte ihn, und mit der Erleichterung ein gewisser Stolz. Sie war genau die Frau, für die er sie gehalten hatte. Eine Frau, die die Bedürfnisse anderer über ihre eigenen stellte.
Eine letzte Angabe auf der Seite rüttelte ihn komplett wach. Wie es schien, hatte Dana Dupinsky außerdem ein Vorstrafenregister. Eine Verurteilung wegen versuchten Autodiebstahls. Vor dreizehn Jahren. Offenbar hatte sie seitdem ihr Leben vollkommen umgekrempelt. Auf den Kopf gestellt.
Er dachte daran, wie sie sich ihr Leben eingerichtet hatte, an ihren chronischen Geldmangel, an ihre schäbige Wohnung. Nichts davon konnte er in der
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