Der Rache Suesser Klang
Küchenfußboden zusammen.
Chicago
Dienstag, 3. August, 2.00 Uhr
Ethan fuhr zusammen, als das Handy in seiner Brusttasche zu vibrieren begann. Er hatte höchstens ein paar Minuten geschlafen, also würde er das Band nicht weit zurückspulen müssen. Der Anruf kam von Clay, und sofort zogen sich seine Eingeweide zusammen. »Es ist zwei Uhr nachts. Was ist passiert?«
»Hier ist es schon drei«, erwiderte Clay kühl. »Sie haben Alicia Samson gefunden.«
Ethans Herz sank. Der Ausweis, den die Frau in Morgantown vorgezeigt hatte. »Ist sie tot?«
»Ja. Verdammt, ich hatte wirklich gehofft, dass sie nur im Urlaub sein würde. Ich habe das Restaurant angerufen, wo sie gearbeitet hat, um zu fragen, ob sie sich inzwischen vielleicht hat blicken lassen. Ihr Chef hatte es gerade erfahren und flippte beinahe aus. Ein paar Kids haben die Leiche im Wald gefunden. Sie ist seit Donnerstagmorgen tot.«
»Als unser Herzchen ihren Ausweis benutzte, um die erste Mail abzuschicken. Todesursache?«
»Kopfschuss, genau wie Cheryl Rickman. Ethan, wir müssen jetzt mit der Polizei reden.«
»Ich weiß.« Ethan presste sich den Daumen gegen die hämmernde Schläfe und überlegte, was zu tun war. Drei Menschen waren durch eine Frau gestorben, die sich offenbar in Luft auflösen konnte. Eine Frau, die Alec bei sich hatte. »Wir wissen nicht, wo sie ist, wissen nicht einmal, wer sie ist. Es wäre verdammt noch mal besser, wenn wir der Polizei irgendein Bild von ihr oder einen Hinweis auf ihre Identität zeigen könnten.«
»Wie nah sind wir denn dran, sie über das Busvideo zu finden?«
»Ich sehe sie mir schon wieder seit vier Stunden an, aber ich habe noch nichts gefunden.«
»Aber sie können doch nicht einfach verschwinden.«
Der Schmerz hinter Ethans Augen wuchs. Viel zu rasch. Er spürte es kommen und tastete verzweifelt seine Taschen auf der Suche nach den kleinen Pillen, ohne die er niemals das Haus verließ, ab. Er hatte seit Monaten keinen Vorfall mehr gehabt.
Verdammt.
»Das sagen wir schon die ganze Zeit.« Er fand die Schachtel und nestelte an der Öffnung, während um ihn herum alles schwarz wurde. »Verdammter Mist. Bleib dran.« Ethan legte sich die Pille hinten auf die Zunge und wartete.
»Ethan?«
Er hörte Angst aus Clays Stimme, unverhüllte, nackte Angst.
Die Pille hatte sich aufgelöst. »Warte einen Moment, Clay. Es geht gleich wieder. Nur Kopfschmerzen.«
»Kannst du sehen?«
»Gleich wieder. Bestimmt.« Er wusste es, und doch war die Panik da, und mit ihr kam der hilflose Zorn. Diese Blackouts waren der Grund, warum er entlassen worden war. Der Grund, warum er nicht auf irgendeiner Mission in der Wüste war. Der Grund, warum er hier war. Auf der Suche nach Alec. Und im Augenblick war er Alecs einzige Chance.
Der Gedanke war gleichzeitig ernüchternd wie erschreckend.
Richtiger Ort, richtige Zeit oder falscher Ort, falsche Zeit?,
dachte er und erinnerte sich an Danas Spruch vom Tag zuvor. Alles hing nur davon ab, wie man es betrachtete. Von der Perspektive. Und die Perspektive war eine Frage der Einstellung. Und die Einstellung … konnte über Erfolg und Niederlage entscheiden.
»Ich habe kein Krachen, Scheppern und metallisches Knirschen gehört, also nehme ich an, dass du gerade nicht im Auto gesessen hast.«
»Nein, hab ich nicht.« Blinkende Lichter erschienen am Ende eines dunklen Tunnels, und Ethan begann endlich, sich zu entspannen. »Ich sitze hier in diesem verdammten Büro im Busbahnhof.«
»Siehst du wieder?« Clays Stimme war rau.
»Clay, es ist alles okay. Pass auf, ich muss mich jetzt wieder um die Bänder kümmern.«
Clay seufzte. »Pass bloß auf dich auf.«
»Mach ich.« Ethan legte auf, wobei er sich sehr wohl bewusst war, dass sie zu keiner Entscheidung gekommen waren. Ein Mann und zwei Frauen waren tot, und Alec war noch immer fort. Er sollte zur Polizei gehen. Und das würde er auch. Er brauchte nur ein wenig mehr Zeit.
Chicago
Dienstag, 3. August, 2.30 Uhr
Heftig zerrte Sue das saubere Hemd über den Kopf des Jungen, schob die Arme durch die Ärmel und stieß ihn aufs Bett. Hielt den Zettel vor seine Augen.
Das war absolut unklug.
Der Junge nickte, als er es las, und rollte sich zu einer Kugel zusammen. Er schwitzte und fror gleichzeitig. Sie hatte ihn sauber machen müssen. Hatte die Kotze aus seinem Gesicht wischen müssen. Wütend kritzelte Sue einen weiteren Satz auf und zwang ihn, ihn zu lesen. Sah, wie er noch bleicher wurde. Die Augen zusammenkniff. Wie ihm
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