Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition)
Lust, hob er den Kopf und stieß einen lautlosen Schrei aus. Im roten Licht des Morgengrauens sank er erschöpft gegen sie und fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
***
An jenem Abend schlurfte er in Lumpen an den öffentlichen Bädern vorbei und fand sich durch puren Zufall auf einem von Roms stillen Plätzen wieder. Es war ein hübscher, gepflegter Rasen, hier und da mit weißen Steinen gesprenkelt, mit niedrigem Buschwerk und kleinen Gruppen von Schirmpinien.
Der Ort strahlte eine tiefe Ernsthaftigkeit aus, die ihn beeindruckte. Binnen weniger Minuten war er zwar nicht wieder sein altes Selbst, aber wenigstens fühlte es sich nicht mehr so an, als würde irgendetwas ihn von innen heraus verschlingen. Seine Sinne schärften sich. Er wurde mehrerer Stimmen gewahr, die sich ganz in der Nähe mit großem Ernst unterhielten.
Eine der Stimmen klang vertraut.
Nein. Es war nicht die Stimme. Es war ein Gefühl von Präsenz, wie ein Beben in der Luft, als hätte jemand eine Harfe angeschlagen.
»Das kann nicht sein«, murmelte der Teufel zu sich selbst.
Es war zwanzig Jahre her, dass er diese Präsenz das letzte Mal – das einzige Mal bisher – gespürt hatte, unten in Judäa, auf einem Hügel bei Bethlehem. Er und zwei Astronomen aus dem Osten waren dem Licht einer explodierenden Supernova gefolgt und über eine jüdische Familie gestolpert, die in einem Kuhstall ein Neugeborenes versorgte. Es war ein Junge, und er lag in einem Futtertrog und war umgeben von dieser übernatürlichen Seelenmusik.
Die Astronomen waren – wie alle anderen auch – verrückt nach Religion. Sie verbanden das Kind augenblicklich mit dem explodierenden Stern und verehrten es als Gott. Alles schien zu erwarten, dass der Teufel das Gleiche tat, also ging er zu seinem Kamel und kam mit einer Kuriosität zurück, die er in Babylon gefunden hatte, einem kleinen Holzkasten mit Weihrauch, den er dem Vater des Jungen schenkte.
Der Teufel nahm an, dass das Baby von einem längst verstorbenen Engel abstammte, auch wenn er diesen »Superseelen-Effekt« nie zuvor so kräftig gesehen hatte.
Dieser kleine Junge hat eine unglaubliche Energie , war ihm in jener Nacht in Bethlehem durch den Kopf gegangen. Eines Tages werden wir von ihm noch viel mehr zu sehen bekommen.
Und da saß er nun, der Junge von damals, in einem kleinen Pinienwäldchen, inmitten anderer Jugendlicher: olivenfarbene Haut, lange Haare und schockierend vielfarbene Augen. Er spielte mit dem Gras zwischen den Knien und blickte sorgenvoll drein.
»Was ist los?«, fragte der Teufel, wobei er sich ins Gras drückte.
»Micah hat Jesus aufgefordert, seinen Bart abzurasieren«, sagte der rundlichste der Jugendlichen.
»Und er hat es tatsächlich getan!«, sagte eine Rothaarige mit nur einem Auge.
»Und jetzt«, fuhr der Rundliche fort, »ist er wütend.«
»Ich bin nicht wütend«, verbesserte ihn Jesus. »Ich weiß nur nicht, ob es das Richtige war.«
»Seht ihr?«, meldete sich ein anderer Jugendlicher zu Wort. »Das ist sie, die Unsicherheitskonstante. Ich habe gleich gesagt, dass wir unmöglich vorhersehen können, wie er sich später fühlt.«
»Meine Eltern«, sagte Jesus und blickte zum Teufel auf. »Sie haben diese Puzzlebox nie aufbekommen.«
»Wer ist das?«, fragte jemand.
»Ein Freund«, antwortete Jesus.
Der Teufel, der durch Judäa gereist war und wusste, wie jüdische Männer über ihre Bärte dachten, erkannte, dass Jesus möglicherweise Bedauern hegte.
»Warum hast du es dann getan?«, fragte er.
»Er hat Berlios erzählt«, erklärte Einauge, bevor Jesus antworten konnte, »dass die Mysterien des Herzens stärker sind als das Gesetz. Berlios hat ihn gefragt, ob das auch für das jüdische Gesetz gelte. Als Jesus bejahte, forderte Berlios ihn auf, sich dem jüdischen Gesetz zu widersetzen, indem er seinen Bart abrasierte, und Jesus antwortete, es wäre nicht so sehr das Gesetz als vielmehr der Geist des Gesetzes, und Berlios meinte, das wäre ja noch besser, und so weiter und so weiter. Und jetzt sind wir hier.«
»Er hat drei Tage gebraucht, bis er zu einer Entscheidung gekommen ist«, sagte ein Jugendlicher mit dunklen Augen. »Es ist nicht so, als hätte ich ihn bedrängt.«
Jesus erhob sich und nahm einen Leinensack auf.
»Morgen?«, fragte er seine Freunde und schaute einen nach dem anderen an.
Sie nickten alle. Beinahe schienen sie sich vor ihm zu verneigen, und der Teufel erkannte, dass dieser Kreis junger Männer trotz aller Scherze und
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