Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition)
Witzeleien einen Respekt gegenüber Jesus empfand, der an Ehrfurcht und Staunen grenzte.
Der Teufel verneigte sich zum Abschied und folgte Jesus von der Lichtung. Gemeinsam stiegen sie in der zunehmenden Dämmerung den Hügel hinauf.
»Ich habe einen Streit vermisst«, sagte der Teufel.
»Eine Debatte«, sagte Jesus. »Ich lehre sie, wie man Ideen durch Argumente erkundet, auf die gleiche Weise, wie wir in Judäa die Thora studieren. Und sie lehren mich im Gegenzug skeptische Philosophie.«
»Skeptische Philosophie?«
»Es ist eine Methode, Fragen zu stellen. Man lernt, zu fragen und dass es immer neue Fragen gibt. Nichts ist absolut sicher, nie hat man je etwas von Grund auf verstanden.«
»Und was kommt dabei für dich heraus?«, fragte der Teufel.
»Sagen wir einfach, ich schärfe meine Fähigkeiten.«
»Um das Gesetz zu praktizieren?«
»Es geht über das Gesetz hinaus. Wir haben Gesetze. Die Natur hat Gesetze. Die Schrift gibt uns Gesetze. Rom gibt uns Gesetze. Was ich finden will, ist unser Herz . Das Herz des Menschen. Ich frage mich, ob die Leute nicht lernen können, aus Liebe gut und gerecht miteinander umzugehen und nicht nur, weil das Gesetz sie dazu zwingt.«
Der Teufel dachte darüber nach.
»Du würdest auf Widerstand stoßen«, sagte er schließlich. »Die Leute würden selbst die Verantwortung übernehmen müssen für ihr Handeln, ihre Gedanken und Worte und Gefühle, anstatt alles auf die Schultern einer gesichtslosen Autorität abwälzen zu können.«
»Das ist das Dumme daran«, sagte Jesus und blieb stehen. Er hielt sich an der Schulter des Teufels fest und pickte ein Steinchen aus seiner Sandale. »Die Leute wollen immer Gott ins Spiel bringen. Sie wollen nicht hören, dass sie selbst verantwortlich sind und die Kontrolle haben. Wen benutzt du als Stütze, wenn du selbst die Kontrolle hast? Wem kannst du die Schuld für alles Mögliche geben?«
»Es ist gefährlich, den Leuten neue Ideen in den Kopf zu setzen«, sagte der Teufel.
Als sie die Ausläufer des Gartens auf dem Hügel erreichten, knurrte dem Teufel der Magen, und ihm wurde bewusst, dass er seit seinem Abendessen mit Arden nichts mehr zu sich genommen hatte.
»Hast du Lust, irgendwo was zu essen?«, fragte er Jesus. »Bist du hungrig?«
Sie fanden eine Kneipe im Bäderbezirk und bestellten Lamm.
***
Was hinterher geschah, war einfach und zugleich alles andere als das.
Weil der Teufel Jesus natürlich von Arden erzählte, und weil Jesus natürlich darauf bestand, mit zu ihm nach Hause zu kommen, wo er Arden die Hände auflegte.
Der Teufel verstand nicht, wieso der Heilzauber bei Jesus funktionieren sollte und bei ihm selbst nicht. Selbst wenn sie fünfzig oder hundert Extra-Seelen in ihn gequetscht hatten, war Jesus immer noch ein gewöhnlicher Mensch. Er würde nie ein Engel sein oder imstande, einen Engel zu heilen oder ihn zu verletzen, und wenn er tausend Jahre alt wurde.
Dann aber flatterten Ardens Augenlider. Sie setzte sich im Bett auf – und kippte gleich wieder hintenüber. »Mein Kopf!«, stöhnte sie, und der Teufel vergaß alles andere.
Er hielt ihre Hand. Er brachte ihr, was immer sie benötigte (hauptsächlich Wasser) und bemerkte erst weit nach Mitternacht, dass Jesus längst gegangen war.
»Danke«, sagte der Teufel in Richtung Tür.
Er kehrte zu Arden zurück und fand sie schlafend. Ein gesunder Schlaf, voller kleiner Bewegungen, die gute Träume signalisieren.
***
Er legte sich zu ihr, ohne sich auszuziehen. Er wusste nicht, wann er eingeschlafen war, doch als er erwachte, schwebte ihr Gesicht dicht über ihm. Er spürte ihren Atem auf seinen Lippen und ihre Wimpern in der Dunkelheit. Das wenige Licht, das durchs Fenster fiel, verwandelte ihre Augen in silberne Monde.
Sie brachte ihn mit einem Finger zum Schweigen, bevor er etwas sagen konnte. »Ich habe dich gespürt«, flüsterte sie. »Während ich geschlafen habe.«
Der Teufel wusste sogleich, was sie meinte. Er spürte so etwas wie Bedauern. Und aus dem Bedauern wurde Scham.
Scham war eine neue und niederschmetternde Erfahrung. Er öffnete den Mund zu einem verlegenen Krächzen, doch sie küsste ihn und brachte ihn zum Verstummen.
Mit leisen Worten erzählte sie, dass sie ihren Körper nicht hatte spüren können und über fremdartige, verträumte Pfade gewandelt war. Sie hatte über fremden Meeren aus Zeit und Raum geschwebt, außerstande, einen Weg hinaus zu finden aus etwas, das ihr wie eine Ewigkeit erschienen war.
»Und dann
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