Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition)

gehabt, dass sie eines Tages den Bann abschütteln würden, dass sie sich erheben würden, dass sie »Genug ist genug!« sagen würden und: »Wir sind süchtig geworden nach Dummheit. Herrgott im Himmel, das kann doch nicht sein! Wir sind besser als das!«
    Das war es, was richtige Menschen tun würden. Sie würden die Sucht bekämpfen. Nur dass es keine Sucht war. Dummheit war ihr natürlicher Zustand. Ihre glänzende Zivilisation war nichts weiter als ein billiger Mantel aus Tünche, das Werk einiger weniger heller Köpfe, gestohlen und pervertiert von einer ganzen Welt voller Dorftrottel und Deppen.
    Ägypten. Rom. Feuer und Rauch.
    Camelot. Amerika. Spiegel.
    Die Erkenntnis war klar und deutlich, als wäre sein Hirn mit einem Mal eine Sonne aus Glas.
    Der Teufel kotzte sich voll, kotzte seinen billigen Knastanzug voll, und die anderen Leute an der Haltestelle entfernten sich von ihm und taten, als bemerkten sie nichts von alledem.
    ***
    »Johnny?«, sagte sein Mobiltelefon. »Wir wollen die Show so bald wie möglich weiterführen. John?«
    Der Teufel wusste, Think it over würde die Menschen nicht aus ihrer Lethargie reißen. Es war animalische Grausamkeit, nicht mehr und nicht weniger. Als würde man kleinen dummen Welpen gemeine Streiche spielen.
    Na und? Wer war er? Mutter Teresa? Nein, er war der verdammte Teufel. Also aufgepasst.
    »Sobald wie möglich, ja«, sagte er zu seinem Telefon. »Großartig. Ich bin dabei.«
    Das Telefon jubelte und fragte, ob er Geld brauchte oder Drogen oder eine Pussy oder sonst irgendwas.
    ***
    Der Teufel steckte das Telefon in die Tasche, fuhr mit dem Bus nach L. A., holte die eingemottete Kennedy-Limousine hervor und fuhr nach Osten, an Memorys Krankenbett.
    Er rollte sich auf dem Fenstersims zusammen, während er nachdachte. Wach auf, wach auf .
    Obwohl sie eine von denen war, fühlte er sich allein ohne sie.
    Der Teufel. Ehrlich, was war das für ein Scheiß? Die Tiermenschen rannten Kreise um ihn herum, wenn es um Dunkelheit ging, um die Fähigkeit, im Elend zu vegetieren und sich am Bösen zu laben. Zum ersten Mal in seinem Leben begriff er, dass er vielleicht gar nicht so bedeutend war. Bloß ein wenig langlebiger als andere.
    Er versuchte den Gedanken abzuschütteln, doch er war wie eine Fliege, die immer wieder zurückkam.

41
Pocahontas
Die Neue Welt, 1608
    Der Teufel fühlte sich müde auf eine Weise, wie er sie bis dahin noch niemals erlebt hatte.
    Er kniete neben Memorys Bett, beide Hände um ihre Fäuste geschlungen, und schlief ein. Er träumte von der einen Sache, an die er stets nicht zu denken versuchte. Er hatte die Fähigkeit verloren, sich selbst vor Schmerz zu schützen.
    Die Erinnerung führte ihn vierhundert Jahre in die Vergangenheit, in die Wälder, die damals noch tief und dunkel waren. Er war über das Meer in das Land hinter dem Sonnenuntergang gekommen, wo er mit bloßen Händen jagte und auf dem nackten Boden schlief.
    ***
    Die Menschen, die hier lebten, nannten sich selbst das Volk vom Fallenden Wasser, und sie fürchteten sich vor ihm. Sie zogen Lose, um herauszufinden, wer von ihnen versuchen sollte, den Teufel zu töten.
    Ein junger Jäger mit Namen Wahsinatawah – »Großer dicker Kopf« – gewann die Wahl, und er näherte sich dem Teufel ohne Furcht.
    Großer dicker Kopf trug seinen Namen völlig zu Recht. Sein gewaltiger Schädel ruhte fast ansatzlos auf Schultern, die sehr muskulös waren, um den Kopf zu stützen. Zu Wahsinatawahs Kummer fanden die Mädchen seinen Kopf wenig attraktiv. Er hatte längst jede Hoffnung aufgegeben, jemals ein Mädchen überreden zu können, mit in sein Zelt zu gehen oder gar seine Frau zu werden. Stattdessen konzentrierte er sein Talent und seine Kraft auf die Jagd. Er wurde zu einem unvergleichlichen Jäger. Und jetzt jagte er eine fremdartige, Furcht einflößende Kreatur.
    Nach drei Tagen in den Wäldern erspähte Wahsinatawah einen großen Hirschbock, der zwischen den Bäumen umhersprang. Instinktiv legte er einen Pfeil ein und zielte, während er leise betete …
    Fapp! Etwas bohrte sich in sein linkes Bein.
    Ein Pfeil! Jemand hatte auf ihn geschossen!
    Etwas zischte durch das Buschwerk über seinem Kopf, und der Hirschbock war ebenfalls getroffen. Das Tier brach mit durchbohrtem Herzen stolpernd durch ein Dickicht und blieb liegen.
    Der Teufel erschien auf dem Pfad, in der einen Hand einen Bogen und in der anderen ein Knochenmesser. Er näherte sich Wahsinatawah. Er rauchte ein Rotkehlchen in einer