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Der Ramses-Code

Der Ramses-Code

Titel: Der Ramses-Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
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eher pronapoleonisch. Der Präfekt sowie General Marchand, der königstreue Garnisonsbefehlshaber, seien dagegen entschlossen, den Ex-Kaiser nicht in die Stadt zu lassen.
    Den gesamten Montag tagte der Magistrat. Die Stadtoberen seien zu keinem Beschluß gekommen, berichtete Jacques-Joseph dem Bruder am Abend. Zur selben Zeit kursierte ein neues Gerücht: Der Graf von Artois, der Bruder des Königs, sei mit 40 000 Mann nach Grenoble unterwegs. Die Royalisten frohlockten. Einige Adlige, berichtete Jacques-Joseph weiter, hätten den Soldaten der Garnison Wein und Erfrischungen gesandt, und diese hätten die Krüge dankend angenommen, sie aber nicht auf das Wohl König Ludwigs geleert.
    »Und Fourier?« fragte Jean-François.
    »Du hast ja selbst gehört, daß er sich den Kaiser zurückwünscht«, erinnerte Jacques-Joseph.
    »Aber man sagt, er sei dagegen«, wandte Jean-François ein.
    »Offiziell schon. Ich denke, er taktiert. Was soll er zu diesem frühen Zeitpunkt schon anderes tun? Immerhin ist er königlicher Beamter.«
    »Ich bitte dich, sei vorsichtig, ergreife auch du nicht vorschnell Partei. Das kann dir später übel ausgelegt werden.«
    »Empfiehlst ausgerechnet du mir, opportunistisch zu sein? Ich muß mich sehr wundern. Wer hat denn dein Gehalt halbiert? Wer versucht, deinen Unterricht zu verhindern? Wer führt sich hier auf, als seien Nichtadlige Menschen geringeren Werts? Willst du diese Bande unterstützen?«
    »Ich will lediglich, daß dir nichts geschieht.«
    »Dann bete für Napoleon. Wenn sie ihn nicht in die Stadt lassen, werde ich oben auf dem Fort, wo jetzt noch das Lilienbanner weht, die Trikolore hissen!«
    Jean-François war bestürzt über die Verwandlung seines Bruders. Napoleons ungeheuerlicher Versuch, Frankreich gleichsam zu Fuß zurückzuerobern, schien ihn in eine quasireligiöse Erregung zu versetzen. Ich werde ihm nicht von der Seite weichen, beschloß er.
    Im Laufe des Dienstags stieg die Spannung ins Unerträgliche. Kaum ein Grenobler ging noch seiner gewohnten Tätigkeit nach. Die Menschen saßen oder standen auf den Straßen. Zwischen den ausharrenden Bürgern zeigten sich hin und wieder verwirrte Royalisten, die mit schlecht verhohlener Ängstlichkeit die Stimmungslage zu ergründen suchten.
    Die Brüder liefen zum Südtor, der Porte de la Bonne, von wo man Napoleons Anmarsch erwartete. Die schweren Eichenholzflügel des Tores standen noch offen. General Marchand hatte alle Wehrgänge der Stadtmauer besetzen und mit Kanonen bestücken lassen, doch die meisten Soldaten verbreiteten nicht den Eindruck wilder Kampfentschlossenheit. Sie lehnten über der Brüstung und diskutierten mit den Zivilisten; manche waren auch vom Wehrgang heruntergestiegen und hatten sich unters Volk begeben. In ihre Nervosität mischte sich eine unverhohlene Heiterkeit, auf deren Ursache sich jeder Beobachter seinen Reim machen konnte: Nirgendwo war Napoleon populärer als in der Armee.
    Gerade als die Brüder das Tor erreicht hatten, kam Bewegung in die Menge. Der Kommandeur des Infanterieregiments,das hier die Stadtmauer bewachte, ein Oberst namens La Bédoyère, hatte sich aufs Pferd geschwungen und seinen Degen gezogen; er stieß ihn in die Luft und rief: »Tapfere Soldaten des 7. Regiments! Ich zeige euch euren Weg! Kommt herunter von den Mauern! Wir brechen auf! Wer mich liebt, folgt mir!«
    Sofort scharten sich Soldaten um den schmucken jungen Offizier. Der fuchtelte weiter wild mit dem Degen und schrie aus Leibeskräften: »Es lebe Napoleon! Es lebe der Kaiser!«
    »Es lebe der Kaiser!« brüllte es aus Hunderten Kehlen zurück. »Mir nach!« befahl La Bédoyère und setzte sich an die Spitze seiner Männer. »Es lebe der Kaiser! Nieder mit dem Adel!« jauchzten die Soldaten begeistert und drängten durch das Stadttor. Unter Trommelwirbel formierte sich das Regiment auf der Straße nach Laffrey. Der Oberst holte aus seinem Gepäck das alte Feldzeichen seines Regiments, den kaiserlichen Adler, und pflanzte ihn auf die Spitze der Truppenfahne. Die Soldaten begrüßten das Siegeszeichen mit frenetischem Beifall und neuerlichen »Es lebe der Kaiser!«-Rufen; dann zog das 7. Regiment in geschlossener Marschformation los. »Lebt wohl«, rief La Bédoyère den Zurückbleibenden zu, »in zwei Wochen bin ich entweder Marschall des Kaiserreichs oder standrechtlich erschossen!«
    Jean-François blickte in das vor Begeisterung gerötete Gesicht seines Bruders, der wie auf dem Sprung stand, packte ihn am Arm und

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