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Der Ramses-Code

Der Ramses-Code

Titel: Der Ramses-Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
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Kriegsrat stattfand, betraten die Brüder das Haus ihrer Kindheit. Es sah heruntergekommen aus und wirkte wie unbewohnt. Die Fensterläden klapperten morsch im Wind, ein Flügel der altenEingangstür hing schief in seiner oberen Angel; die untere fehlte. Knarrend und ächzend tat sich die Tür auf.
    »Wie ein Gespensterschloß«, murmelte Jacques-Joseph, der als erster eintrat.
    Im dunklen Flur roch es modrig. Die Eintretenden stießen gegen leere Flaschen, die klirrend über den Steinboden rollten.
    »Vater!« rief Jacques-Joseph. »Wir sind es, deine Söhne! Wir kommen dich besuchen!«
    Keine Antwort.
    Sie betraten das Kaminzimmer. Hier roch es nach verkohltem Holz und verbranntem Essen. Die Brüder öffneten die Fensterläden, um zu lüften und Licht hereinzulassen. Ihnen bot sich ein Bild der Verwahrlosung. Überall lagen Gläser, Flaschen, zerschlagenes Geschirr und Essensreste herum; ein Drittel des großen Raumes war ausgefüllt mit Bergen von Büchern; den Tisch bedeckte eine millimeterdicke Dreckkruste; ein Stuhl, dem ein Bein fehlte, lag mitten im Zimmer.
    »Wie sieht es denn hier aus!« rief Jean-François.
    Sein Bruder zuckte mit den Schultern. »Ich habe dir ja gesagt, daß er säuft wie ein Loch. Ich traue mich gar nicht, nach oben zu gehen. Räumen wir erst einmal auf, schließlich müssen wir hier wohnen.«
    Sie machten Feuer im Kamin und verbrannten alles, was brennbar war, den Stuhl eingeschlossen. In der anstoßenden Küche sah es nicht anders aus; auch dort entfachten sie das Herdfeuer. Die beiden waren so beschäftigt, daß sie die Schritte auf der Treppe nicht hörten und zunächst auch nicht bemerkten, wie sich die Zimmertür öffnete. Erst als sie die Gestalt in der Tür erblickten, hielten sie inne. Der dort stand, war ihr Vater – aber wie sah er aus! Der einstmals vierschrötige Mann war dünn geworden, die Schultern hingen vornüber, sein Gesicht war eingefallen und von einem wilden Bart umrahmt, das Haar klebte wirr am Kopf, seine Augen blickten trübe und stier, das Hemd hing ihm aus der Hose, er ging trotz der Kälte im Haus barfuß; kurzum: Er bot einen Anblick, der genau zum Zustand des Hauses paßte.
    »Vater! Mein Gott«, sagte Jacques-Joseph erschrocken.
    Der Körper des Alten straffte sich bei diesen Worten, seine Augen rollten hin und her im verzweifelten Bemühen, die beiden Personen in seinem Haus gleichzeitig zu erfassen, während er zu überlegen schien, woher er sie kannte. Seine Hände krampften sich zur Faust, und Jacques Champollion wirkte für einen Moment bedrohlich. Dann erschlaffte sein Körper, und er sagte mit heiserer Stimme: »Was wollt ihr hier?«
    »Vater, erkennst du uns überhaupt?« rief Jacques-Joseph. »Wir sind es, deine Söhne Jean-François und Jacques-Joseph!«
    Beide traten ein paar Schritte auf ihn zu, der einst ein angesehener Bürger, Buchhändler, Obstgartenbesitzer und Familienoberhaupt gewesen war. Jacques Champollion wich zurück, hob abwehrend eine Hand gegen Jean-François und nuschelte etwas Unverständliches.
    »Ich verstehe dich nicht, was sagst du, Vater?« fragte Jean-François.
    Da kreischte der Alte plötzlich auf, daß seine Söhne erschrocken zusammenfuhren, richtete seinen wirren Blick auf den Jüngeren und schrie: »Du bist nicht mein Sohn! Du bist nicht mein Sohn! Du bist ein Ägypter!« Wie von Sinnen rannte er aus dem Zimmer, und Sekunden später hörten die Brüder die Haustür ächzend zufallen.
    »O Gott, er hat den Verstand verloren«, entfuhr es Jean-François. »Wir ziehen bei einem Wahnsinnigen ein.«
    Jacques-Joseph aber erinnerte sich an den Auftritt des alten Jacqou in diesem Haus vor nunmehr einem Vierteljahrhundert, an seine denkwürdige Prophezeiung, die Zukunft eines Knaben betreffend, dessen Geburt sich seinerzeit noch nicht einmal angekündigt hatte und dessen spätere geistige Überregsamkeit der Vater mit täglich wachsendem Befremden beobachtete. Offensichtlich hatte sich dieser Zerrüttungsprozeß sogar in den Jahren nach Jean-François’ Abreise aus Figeac fortgesetzt.
    »Wir können ihn unmöglich barfuß und im Hemd bei diesem Wetter draußen herumlaufen lassen!« rief Jacques-Joseph, und beide eilte dem Alten hinterher.
    Sie fanden ihn inmitten der Obstbäume hinter dem Haus, die einst der Familie gehörten und unter denen sie als Kinder gespielt hatten. Er stand dort und zitterte vor Kälte, vielleicht auch, weil er noch nichts getrunken hatte, und als er seiner Söhne ansichtig wurde, schossen ihm

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