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Der Ramses-Code

Der Ramses-Code

Titel: Der Ramses-Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
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Jacques-Joseph hatte das verhaßte Lilienbanner eingeholt und in den Fluß geworfen, während sein Bruder am Eingang des menschenleeren Forts Wache stand. Die beiden wurden allerdings beobachtet und am nächsten Tag denunziert. Da sich ihre Namen ganz oben auf einer Liste der Napoleon-Anhänger und potentiellen Aufrührer befanden, die die Sieger mit Hilfe einheimischer Informanten zusammengestellt hatte, gab der österreichische Stadtkommandant den Befehl, sie zu arretieren.
    Die Besatzer ließen die Brüder nach einigen Verhören und mehreren Tagen Haft wieder frei, vor ihren Häusern aber zogen Posten auf. Die royalistischen Rückkehrer hingegen verlangten nach Rache. Vertrauliche Berichte, unter anderem über alle Grenobler Professoren, wurden nach Paris gesandt; Jacques-Joseph, Sekretär des Usurpators, wie Napoleon jetzt ausschließlich hieß, war schwer, sein Bruder als journalistisches Sprachrohr des Korsen etwas weniger schwer belastet. Außerdem hatten sich beide am Abwehrkampf beteiligt und die Fahne Seiner Majestät gegen das Blutbanner der Revolution ausgetauscht. Im Magistrat forderten einige der Honoratioren ihren Kopf, quasi als Sühnegabe Grenobles an den schmählich hintergangenen König. Doch der diplomatische Renauldon, dem weniger Ludwig oder Napoleon, um so mehr aber seine Stadt und die Brüder am Herzen lagen und der darauf pochen konnte, sich als Bürgermeister stets so verhalten zu haben, daß der geringstmögliche Schaden für Grenoble entstand, plädierte für ein Ende des Blutvergießens und die sofortige Verbannung der Champollions, die, wie er ausführte, im Exil selbst nachempfinden mochten, welches Leid der königlichen Familie jahrelang angetan wordensei. Auch König Ludwig wollte, im Gegensatz zu den Ultras unter seinen Anhängern, keine Bartholomäusnacht anzetteln. So erfuhr man lediglich von drei Hinrichtungen. Marschall Ney, der während der Hundert Tage mit den ihm unterstellten königlichen Truppen zu seinem alten Dienstherren übergelaufen war, wurde ebenso erschossen wie der napoleontreue Marschall Murat, und auch Oberst La Bédoyère, der mit dem siebenten Regiment aus Grenoble desertiert und kurzzeitig zu Napoleons Adjutanten aufgestiegen war, fand sich, wie er bei seinem Auszug prophezeit hatte, vor einem Erschießungspeleton wieder. Der Kaiser selbst wurde auf die Insel Sankt Helena im Südatlantik verbannt.
    Der Hauptfeind als Gefangener Englands im Exil und nur drei hohe Militärs hingerichtet – unter diesen Umständen brach die Fronde gegen die Champollions endgültig in sich zusammen. Eine Handvoll Grenobler Napoleonanhänger, unter ihnen die Brüder, wurden in die Verbannung geschickt; damit schien hinreichend kollektive Buße getan.
    Nun saßen die beiden Professoren wieder dort, woher sie vor Jahren »in die Welt« aufgebrochen waren, weil sie ihr Heimatstädtchen als zu eng, zu provinziell und geisttötend empfunden hatten.
    »Wir leben«, pflegte Jacques-Joseph zu sagen, wenn sie Trübsal bliesen.
    »Was meinst du, wie lange sie uns hierlassen?« fragte Jean-François. »Ein Jahr? Fünf Jahre? Für immer?«
    »Warte nur ab«, versuchte der Ältere ihn zu beruhigen, »wenn sich die Stürme gelegt haben, können wir heimkehren. Am besten gehen wir dann nach Paris; dort wechseln die Moden am schnellsten, auch die politischen. In der Provinz ist man doch allzu nachtragend, weil dort sonst nichts geschieht, und wir werden den Ruf, den man uns neuerdings angeklebt hat, nie los.«
    »Und was ist mit unseren Familien?«
    »Man läßt sie in Frieden. Mehr können wir zur Zeit nicht verlangen.«
    Ein halbes Jahr nach Beginn ihres Exils schrieb Frau Zoë, daß die Grenobler Fraktion der Hinrichtungsbefürworter Gelegenheit gefunden hatte, sich anderweitig zu betätigen: Ein Professor namens Didier, Jurist und Akademiemitglied, sei gemeinsam mit sechs sogenannten Verschwörern standrechtlich erschossen worden; angeblich hätten sie einen Aufstand geplant. Bei dieser Gelegenheit seien auch wieder Stimmen laut geworden, die Verbindungen zu den Champollions herstellten. Mit Heimkehr war also vorerst nicht zu rechnen. Pauline wohnte inzwischen bei Jacques-Josephs Familie; ihr Vater hatte sie, als Ehefrau eines Hochverräters, verstoßen und enterbt. Die meisten Akademiemitglieder sowie der Bürgermeister, schrieb Frau Zoë, verhielten sich aber nach wie vor freundlich zu ihnen, und die Zeit werde schon alles richten.
    Die Zeit! Jean-François litt schwer unter der Isolierung

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