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Der Ramses-Code

Der Ramses-Code

Titel: Der Ramses-Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
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– weniger von Pauline als vielmehr von der geistigen Welt. Er hatte sich sein ehemaliges Knabenzimmer wieder hergerichtet und saß brütend über den verbliebenen Resten seiner jahrelangen Arbeit. In detaillierten Briefen ermahnte er seine Gemahlin, ihm diese und jene Bücher oder Manuskripte zu schicken (wobei Pauline meist alles durcheinanderbrachte). Vieles war verlorengegangen, vor allem jene Materialien, die sich in der Universität befunden hatten. Außerdem besaß er keinen Zugriff mehr auf die Zeichnungen der »Description«. Von neuem beneidete er die Kollegen in Paris, die mit den Originalen arbeiten konnten.
    Jacques-Joseph vermißte Frau und Kinder sehr; wenn er sich jedoch in seiner Phantasie ausmalte, wie sein Kaiser mehrere tausend Kilometer südlich auf einem kleinen Eiland saß, den göttlichen Blick in die unabsehbare Weite des Atlantischen Ozeans gerichtet, wandelte sich seine private Wehmut in überpersönliche Ergriffenheit, und er fügte sich in seine Situation. Sein Familiensinn fand immerhin mit der Pflege des Vaters Beschäftigung, wobei sich absehen ließ, daß es sich um ein Zu-Tode-Pflegen handelte, denn die geistigen und körperlichen Kräfte des Alten schwanden rapide.
    Ein Brief von Fourier, der seit einiger Zeit wieder in Pariswohnte, war seit langem die erste Kunde aus der Hauptstadt – und keineswegs eine frohe. Der Mathematiker schrieb, Napoleons Befehl, Jean-François’ koptische Grammatik drucken zu lassen (in der Tat war aus dem Versprechen ein Befehl geworden), habe den Autor in Paris erledigt. Das Buch werde nun nicht gedruckt, bedauerte Fourier mitteilen zu müssen. Langlès und Sacy hätten erklärt, er, Jean-François, übertriebe die Wichtigkeit des Koptischen; Sacy habe höhnisch gefragt, in welcher historischen Quelle der jüngere Champollion denn das System der ägyptischen Sprache vor Alexander dem Großen entdeckt habe.
    Ein halbes Jahr später erfuhr Jean-François, wiederum von Fourier, daß demnächst eine koptische Grammatik aus der Feder von Professor Quatremère erscheinen werde.
    »Ich habe genug«, stieß Jean-François hervor, als er das las. »Frankreich hat kein Interesse an meiner Arbeit!«
    »Diese Canaillen sind nicht Frankreich«, versetzte Jacques-Joseph. »Du mußt das alles ignorieren. Menschen sind so. Vor allem ist die Zeit dir nicht günstig gesonnen, du standest auf der falschen Seite, und nun nutzen diese Neider ihren Vorteil weidlich aus.« Der Bruder erinnerte an Hortense de Beauharnais, Tochter der späteren Kaiserin Joséphine und Gattin von Napoleons Bruder Ludwig Bonaparte, bis 1810 Königin von Holland, eine Frau, die Napoleon alles verdankte, ihren Reichtum, ihren Ehemann samt Königreich: sie hatte es fertiggebracht, sich nach der Abdankung des Kaisers anno 1814 König Ludwig im buchstäblichen Sinne zu Füßen zu werfen, royalistische Treueschwüre zu leisten und um den Titel einer Herzogin zu bitten. Der greise König ließ sich erweichen und ernannte sie zur Herzogin von Saint-Leu. Als Napoleon aus seiner ersten Verbannung zurückkehrte, war sie sofort zum Bonapartismus zurückgewechselt.
    »Und nun wird sie, wenn Ludwig Humor besitzt, wieder in den Hofstaat eingegliedert«, schloß Jacques-Joseph.
    »Das ist doch alles widerlich«, sagte Jean-François. »Und uns verbannt man.«
    Sein Bruder zuckte mit den Schultern. »So ist es eben. Bisher hatten sie in Paris keinen wirklichen Grund, dich zuschneiden; jetzt haben sie ihn. Wir beide haben unsere Gesinnung eben nicht schnell genug geändert, womit ich übrigens gut zu leben vermag. Dieses Argument werden sie aber nur so lange gegen dich zu Felde führen können, bis dir etwas so Bedeutendes gelingt, daß es vollkommen egal ist, wessen du bezichtigt wurdest, weil es dich über alle Konkurrenz erhebt. Selbst wenn es ein Hochverräter ist, der die Hieroglyphen entziffert, werden sie ihm Kränze flechten. Vergiß deine koptischen Bücher, und konzentriere dich von jetzt ab ausschließlich auf die Hieroglyphen!«
    »Ich bin abgeschnitten von allen neuen Funden, und mit dem vorhandenen Material schaffe ich es nicht. Das ist es ja, was mich wahnsinnig macht.«
    Während sie dieses Gespräch führten, saß Jacques Champollion teilnahmslos in seinem Lehnstuhl im Kaminzimmer und stierte ins Leere. In diesem Zustand hatte er die letzten Monate verbracht, wobei es Jacques-Joseph gelungen war, ihn nach und nach vollends des Alkohols zu entwöhnen. Das brachte den Alten zwar nicht mehr zu

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