Der Ramses-Code
gut gekannt, denn schließlich habe er doch mit dessen Division die flüchtigen Mamelucken durch Oberägypten verfolgt, bis nach Karnak und Theben und noch weiter ins unerschlossene Herz Afrikas hinein, so weit, wie zuvor wohl kaum ein Europäer gekommen war, bis zum Katarakt des Nil. Hier merkte der im Hintergrund stehende Jean-François erstmals gebannt auf, aber das Gespräch verließ Ägypten schnell wieder, ohne bei den berühmten Ruinenstädten zu verweilen. Ein Geistlicher erkundigte sich nach Auswirkungen des Konkordats, der Wiedereinsetzung des katholischen Kultes durch den Ersten Konsul, aber das interessierte die Umstehenden offenbar wenig, und so kam man, zur Freude des lauschenden Elfjährigen, wieder auf das Nilland zu sprechen.
Ein Offizier der Grenobler Garnison fragte nach der Schlacht bei den Pyramiden. »Ist es wahr, daß die Mamelucken die beste Reiterei der Welt stellen?«
»Ob es die beste der Welt ist, wage ich nicht zu beurteilen«, erwiderte Denon, »aber es war die beste, die ich jemals zu Gesicht bekommen habe. Diese Mamelucken waren wie verwachsen mit ihren Rossen und preschten in einer Geschwindigkeit um unsere Infanterie herum, daß einem schwindlig wurde.«
»Aber es hat ihnen nicht viel geholfen«, bemerkte der Offizier.
Denon schüttelte den Kopf. »Nein, unsere Art zu kämpfen flößte ihnen Schrecken ein. Anfangs, weil wir fast ausschließlich Fußtruppen ins Feld führten, dachten sie, sie hätten leichtes Spiel mit uns. So ritten sie vor unsere Gewehre und in ihr Verderben. Sie glaubten wohl, wenn sie auf die Infanterie-Karrees zupreschen, laufen wir wie die Hasen auseinander! Dann galoppierten sie verzweifelt um den Wall aus Bajonetten herum, aus dem unaufhörlich auf sie geschossen wurde. Ich habe noch nie Männer mit soviel Todesverachtung gesehen. Manche sprangen von ihren Pferden, krochen auf der Erde auf uns zu und versuchten, unter den Bajonetten hindurch mit ihren Säbeln die Beine unserer Männer zutreffen. Und wir schossen und schossen, bis keiner mehr übrig war. Nach der Schlacht haben uns ein paar, die wir gefangengenommen hatten, erzählt, daß sie glaubten, unsere Männer hätten sich in den Karrees zusammengebunden.«
Er lachte, und die Umstehenden fielen ein.
»Ja, so scheiterte die beste Kavellerie des Morgenlandes an einem kleinen Korps, das sich mit Bajonetten deckte und sie zusammenschoß«, fuhr der Erzähler fort, »und ein kleiner Haufen schlecht ausgerüsteter Soldaten unter Führung eines Helden hatte plötzlich einen Erdteil erobert. Es war ein erhebendes Gefühl, zumal sich alles in unmittelbarer Nähe jener kolossalen Pyramiden abspielte, sozusagen unter den Augen der ägyptischen Götter. Dieser Anblick ist atemberaubend! Nicht umsonst hat Bonaparte die Kulisse benutzt, um die Soldaten anzuspornen. ›Geht nun und schlagt sie‹, rief er seinen Männern vor der Schlacht zu, ›und denkt daran, daß von der Höhe dieser Monumente vierzig Jahrhunderte auf euch niederblicken!‹«
»Großer Gott, vierzig Jahrhunderte!« seufzte eine ältere Dame affektiert.
Jean-François dachte über diesen Anfeuerungsruf Bonapartes nach und fragte sich, wie er auf das Zeitmaß von viertausend Jahren gekommen sein mochte. Es gab keinen Beleg dafür. Ob Bonaparte das einfach nur so dahingesagt hatte?
»Und Sie waren selbst in einer dieser Pyramiden?« fragte jemand.
»Ja, und zwar in der größten, die man dem Cheops zuschreibt«, bestätigte der Abenteurer. »In dieser ungeheuren Steinmasse könnte man jede Kirche unseres Abendlandes mühelos verschwinden lassen, und all das wurde nur aufgetürmt, um den Sarkophag des Königs zu beherbergen. Wir stießen auf ihn – nachdem wir durch mehrere Galerien im Pyramideninneren emporgestiegen waren – in der Mitte des Baus, hoch über dem Erdboden. Er ist leer, vermutlich schon seit Jahrhunderten, denn so gewaltig der Bau auch ist, man hat die Granitblöcke beseitigt, mit denen die Gänge im Innern versperrt waren. Man weiß kaum, was man mehr anstaunen soll: die tyrannische Unvernunft, die einen solchen Baubefahl, oder den knechtischen Gehorsam des Volkes, das ihn auftürmte.«
Die Damen wollten mehr über das rätselhafte Morgenland erfahren. Die literarische Reisebeschreibung des Pariser Causeurs enthielt Frivolitäten, die dem elfjährigen Lauscher suspekt vorkamen, die aber das Publikum, Soldaten-Ehefrauen vielleicht ausgenommen, äußerst dankbar, ja geradezu gierig aufsog. Da war beispielsweise die Rede von
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