Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ramses-Code

Der Ramses-Code

Titel: Der Ramses-Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
Vom Netzwerk:
Fluß ziehen, zum Leichenschauhaus ins Hôtel-Dieu karren und ihn nach wenigen Tagen, bevor sein Leichnam zustinken anfing, auf irgendeinem Armenfriedhof verscharren, da sich niemand eingefunden hatte, dem dieser Tote so viel bedeutete, daß er ihn halbwegs anständig unter die Erde brachte. Wochen später würde die Familie davon erfahren. Für Paris war es jedenfalls völlig unerheblich, ob hier einer mehr oder weniger am Seineufer herumsaß.
    Was aber folgte daraus? Er mußte arbeiten, erfolgreich sein und sich aus der Masse derer, die diese Stadt bevölkerten, herausheben. Zudem mußte er Geld verdienen, um sich einen gewissen Lebensstil leisten zu können. Das allerdings war ein Widerspruch: Altertumswissenschaft und auch der bescheidenste Luxus schlossen einander aus, gerade unter Napoleon. Aber das Gelehrtenleben erforderte ohnehin strengste Selbstzucht. Paarte sich diese mit einer Spur Genialität, blieb am Ende vielleicht ein Denkmal von einem übrig. War das sein Ziel? Nein, an Nachruhm dachte er nicht. Er wollte die Hieroglyphen lesen, sonst nichts.
    Bei diesem Gedanken hielt der junge Mann inne. Ging es ihm vornehmlich darum, der erste zu sein, oder ging es ihm um die Sache selbst? Wie, wenn irgendwo jemand saß, vielleicht hier in Paris, vielleicht in London, den jener glückliche Zufall, von dem Sacy gesprochen hatte, zur Lösung des Hieroglyphenrätsels führte? Nicht auszudenken! Alles wäre umsonst gewesen!
    Aber dann könnte er, Jean-François, endlich die alten Texte lesen …
    Ertappt! dachte er. Der erste zu sein, ist dir doch wichtiger! Nur der erste erntet Ruhm und Anerkennung, alle anderen fallen hinten vom Wagen. Ergo hatte er nichts anderes zu tun, als sich hinter seine Bücher zurückziehen und zu ignorieren, daß er sich in diesem Moloch von Stadt befand, vor dem er sich etwas fürchtete, der aber zugleich seine Neugier magisch zu entfachen begann. Niemand würde sich in den nächsten Wochen um ihn kümmern, bis zum Semesterbeginn würde ihm nicht einmal jemand vorschreiben, wann er morgens das Bett zu verlassen hatte. Er war einsam und fremd hier, schon richtig – aber er war auch frei.
    Dieser Gedanke stärkte den angehenden Studenten, undje öfter er ihn dachte, desto mehr nahm das Gefühl von Verlorenheit ab, das ihn so heftig ergriffen hatte, als er die Postkutsche davonfahren sah. Er stand auf, spuckte in hohem Bogen ins Wasser, sah zu, wie die Kreise sich auseinanderbewegten, und beschloß, ein wenig schlendern zu gehen. Er schlug den Weg zur Cité ein, der leicht zu finden war, weil ihn die beiden Türme von Notre-Dame wiesen. Am gegenüberliegenden Ufer angelangt, stellte er fest, daß die Insel wegen der auf den Brücken gebauten Häuser kaum als solche zu erkennen war. Hier floß die Seine tatsächlich unter Häusern hindurch! Jean-François spazierte über den Pont Neuf und erreichte die dreieckige Place Dauphine. Seit ein paar Jahren stand hier das Denkmal für Napoleons Liebling Desaix, jenen General, dessen Tod in der Schlacht von Marengo Bonaparte zu Tränen gerührt hatte. Jean-François verweilte einen Augenblick vor dem überlebensgroßen Standbild, das eine Siegesgöttin mit dem obligatorischen Lorbeerkranz krönte. Desaix, entsann er sich, hatte während des Ägyptenfeldzuges die Division kommandiert, welche den fliehenden Mamelucken den Nil hinauf nachgesetzt war. Und wer gehörte jener Division an, nicht als Soldat, sondern als Zeichner? Vivant Denon! Der hatte ihn doch nach Paris eingeladen! Fünf Jahre war das inzwischen her; ob er sich noch an ihn erinnerte? Die Karte mit Denons Adresse mußte irgendwo zwischen seinen Manuskripten und Unterlagen herumgeistern. Jean-François nahm sich vor, Denon baldmöglichst einen Besuch abzustatten, und setzte seinen Spaziergang fort.
    Er passierte den Quai de la Vallée, Domizil zahlreicher Buchhändler, auf dem viel Volk drängte, denn es war gerade Geflügelmarkt. Kahlgerupft, mit nach unten baumelnden Köpfen und von schreienden Händlern angepriesen, lagen Tauben, Enten, Poularden, Gänse, Kapaune in Reih und Glied auf den langen Holztischen. Der Lärm war ohrenbetäubend, doch er erfuhr noch eine Steigerung, als sich ein Trupp staubiger, schwitzender Handwerker unter »Platz da!«- und »Beiseite!«-Rufen einen Weg durchs Gewühl bahnte, Holztragen in den Händen, auf denen blutverschmierte Männer lagen –offenbar hatte es einen Unfall gegeben, ein Gerüst war eingestürzt oder dergleichen, und nun trugen sie ihre

Weitere Kostenlose Bücher