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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Tür des Notars anlangten, vor der bereits eine Postchaise harrte.
    »Ei der Tausend, da sind gar vier Pferde!« rief Kit ganz außer sich über die Vorbereitungen. »Nun, Ihr fangt gut an, Mutter! Da ist sie, Sir. Dies ist meine Mutter. Sie steht ganz zu Diensten, Sir.«
    »Recht so«, entgegnete der Herr. »Nur keine Aufregung, Ma'am; man wird für Euch Sorge tragen. Wo ist der Koffer mit den neuen Kleidern und sonstigen Erfordernissen für die Flüchtlinge?«
    »Hier«, sagte der Notar. »Hinein damit, Christoph!«
    »So, das wäre geschehen, Sir«, erwiderte Kit. »Fertig, Sir!«
    »So kommen Sie!« sagte der ledige Herr. Mit diesen Worten reichte er Kits Mutter den Arm, half ihr mit ausgesuchter Höflichkeit in den Wagen und nahm an ihrer Seite Platz.
    Die Leiter wurde aufgeschlagen, die Tür zugeknallt, die Räder drehten sich, und davon rasselten sie, während Kits Mutter sich weit aus dem Fenster beugte, ein feuchtes Taschentuch wehen ließ und noch viele Grüße an den kleinen Jakob und den jüngsten Nubbles hinausrief, die natürlich niemand hörte.
    Kit blieb in der Mitte der Straße stehen und sah mit Tränen in den Augen dem Wagen nach, Tränen, deren Ursache nicht der eben erlebte Abschied war, sondern die die Rückkehr, auf die er sich so freute, ihm schon jetzt erpreßte.
    »Sie gingen zu Fuß fort«, dachte er, »und niemand war da, um ihnen ein freundliches Wort zum Abschied zu sagen; jetzt aber werden sie mit vier Pferden zurückkommen, in Begleitung eines reichen Herrn, der ihr Freund ist, und alle Sorgen werden ein Ende haben! Sie wird vergessen, daß sie mich schreiben lehrte …«
    Außerdem mochte Kit wohl noch an manches andere denken, denn er stand noch lange da, nachdem die Chaise verschwunden war, betrachtete die Reihen flimmernder Lampen und kehrte nicht eher in das Haus zurück, bis der Notar und Herr Abel, die so lange vor dem Hause gewartet hatten, als sich noch etwas von dem Rasseln der Räder vernehmen ließ, sich schon einige Male verwundert fragten, was ihn wohl noch draußen fesseln könnte.

Zweiundvierzigstes Kapitel
    Es ist nun an der Zeit, daß wir Kit eine Weile mit seinen Gedanken und Erwartungen allein lassen und die Erlebnisse der kleinen Nell weiter verfolgen. Wir nehmen zu diesem Zweck den Faden der Erzählung dort wieder auf, wo wir ihn in einem früheren Kapitel unterbrochen haben.
    Während einer jener Abendwanderungen, bei denen sie, den zwei Schwestern in bescheidener Entfernung folgend, in dem Mitgefühl, das sie diesen entgegenbrachte, und in dem Gedanken, daß deren Prüfungen ihrer eignen innern Einsamkeit ein wenig verwandt waren, Trost und Beruhigung fand, die sie dann solche Momente glückselig empfinden ließen, obgleich die wohltuende Freude eine von jenen war, die in Tränen lebt und stirbt – während einer jener Wanderungen um die stille Dämmerstunde, da der Himmel, die Erde, die Luft,
das leicht bewegte Wasser und der Ton ferner Glocken verwandte Saiten in dem Kindesgemüt erklingen ließen und dem Mädchen beruhigende Gedanken einhauchten, keineswegs aber solche, wie sie die Kinderwelt mit ihren harmlosen Freuden kennt – während eines jener Spaziergänge, die nun ihre einzige Freude waren und sie ein wenig die Sorgen vergessen ließen, war die Dämmerung bereits in Dunkelheit, der Abend in Nacht übergegangen, und noch immer weilte das junge Wesen in der Finsternis. Fühlte sie sich doch nicht allein in der heitern Stille der Natur, während Lärmen von Menschen und blendendes Kerzenlicht wahre Einsamkeit für sie gewesen wären!
    Die Schwestern hatten sich bereits nach Hause begeben, und sie war allein. Sie erhob die Augen zu den glänzenden Sternen, die so mild aus der weiten, lustigen Weltenferne herniederschauten, und während sie so hinsah, fand sie, wie immer neue Sterne vor ihren Blicken auftauchten, immer mehr und mehr, bis das ganze unermeßliche Firmament von glänzenden Sphären funkelte, die sich immer höher und höher in dem unermeßlichen Raum erhoben, unendlich an Zahl, wie ewig in ihrem wandellosen und reinen Dasein. Sie beugte sich über den ruhigen Strom und sah sie in derselben majestätischen Ordnung schimmern, wie sie damals durch die angeschwellten Wasser leuchtend der Taube Noahs erschienen sein mochten, als die Spitzen der Berge und das tote Menschengeschlecht um Millionen Klafter unter ihr lagen.
    Die Kleine saß schweigend unter einem Baume und wagte kaum zu atmen in der Stille der Nacht und der sie begleitenden Wunder.

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