Der Rat der Zehn
eine Fassade. Statt dessen benutzte der Mossad eine Reihe von Zweigstellen, die strategisch über das ganze Land verteilt waren. Viele von ihnen wechselten regelmäßig ihren Standort, aus Gründen der Sicherheit und um mögliche Unterwanderer auffliegen zu lassen. Selbst nachdem ein Umzug stattgefunden hatte, wurde der alte Standort noch für eine Weile beobachtet, Agenten, die sich trotzdem zeigten, konnten so erkannt und als Spione entlarvt werden. Echte Mossadagenten waren bis zum Fanatismus diszipliniert. Codes wurden strikt eingehalten, und es wurde niemals versäumt, Meldungen weiterzugeben. In der Welt Israels, des einen gegen so viele, war ein solches Verhalten zum Überleben notwendig.
Die Frau, die aus dem Schatten einer Seitenstraße heraustrat, war unpassend gekleidet für den ungewöhnlich langen Sommer, der sich in diesem Jahr noch in den Frühherbst hinein erstreckte. Hose und Pullover waren zu dunkel, zu schwer. Die hüftlange Jacke erschien unnötig. Die Absätze der Stiefel klickten im Rhythmus ihrer Schritte auf dem Gehweg. Als Antwort darauf lehnte sich der Bettler ein wenig nach vorne und zeigte auf seine Büchse. Der Verkäufer straffte sich für einen möglichen Verkauf.
Die Frau ging an dem Bettler vorbei und warf zwei Münzen in dessen Büchse, eine nach der anderen. Der Bettler sah die Münzen an und nickte dem Verkäufer zu, während er einen Knopf drückte, der neben ihm in der Mauer verborgen war. Der Frau war nun der Zugang zum Haus gestattet. Man erwartete sie.
Sie ging ohne zu zögern die Steinstufen herauf, als sei es ihr Haus. Sie klopfte, wie es ein endlich zu Hause angelangter Verwandter hätte tun können, und die Tür zur Mossadkontrollstation öffnete sich rasch.
»Wir haben dich erwartet, Elliana«, wurde sie von einem kleinen Mann mit Schnurrbart begrüßt. Obwohl er klein war, war seine Brust wie ein Faß gebaut, und seine haarigen Unterarme waren knotig vor Muskeln.
Elliana Hirsch ließ Moshe die Tür hinter sich schließen und erlaubte sich einen Seufzer. Es war gut, nach all den Monaten wieder zu Hause zu sein. Ja, die Umstände ihres Rückrufes störten sie. Er kam zu plötzlich, zu unerwartet. Das bedeutete nichts Gutes.
»Wir?« fragte Elliana, der Moshes Gebrauch des Plurals wieder einfiel.
Moshe zögerte, bevor er antwortete. Sein Schnurrbart schien zu zucken. Schließlich nickte er. »Isser ist oben«, sagte er. Elliana fühlte, wie sich ihr Magen zusammenzog. Isser war der Name des allerersten Mossaddirektors, und seit damals wurde dieser Name von allen, die ihm nachfolgten, als eine Art Code übernommen. Sich vorzustellen, daß der Kopf der gesamten Organisation gekommen war, um sich mit ihr zu treffen! Elliana konnte sich noch nicht einmal vorstellen, warum. Solche Dinge passierten nicht alle Tage. Sie war eine gewöhnliche Außenagentin. Plötzlich schienen die Umstände ihres Rückrufes unter noch ungünstigeren Vorzeichen zu stehen.
»Er möchte dich sofort sehen«, sagte Moshe.
Elliana begann hinaufzugehen und fühlte ihre langen muskulösen Beine weich werden. Sie empfand sich als viel zu groß für eine Frau, und ihr Gang wirkte oft schlaksig, aber in mancher Hinsicht auch wie der einer großen Katze.
»Kommst du nicht mit?« rief sie Moshe zu.
»Er möchte dich allein sprechen«, gab er zurück, und Elliana versuchte die Besorgnis, die in seiner Stimme mitgeklungen hatte, zu verdrängen. Sie ging weiter die Treppe hoch. Ihr kastanienbraunes Haar war wahrscheinlich zu lang und fiel offen über die Schultern herab. Sie war blaß, und sie hatte kein Make-up für dieses Treffen aufgelegt, weil sie keinen Grund dafür gesehen hatte. Natürlich, zu dem Zeitpunkt wußte sie ja auch noch nicht, daß sie Isser selbst treffen würde. Elf Jahre Mossaddienst, und ich kann mir immer noch nicht die dummen Gedanken über mein Aussehen aus dem Kopf schlagen.
Elliana erreichte den ersten Stock und ging nach rechts. Isser würde sich im zweiten Zimmer aufhalten. Das gehörte zum Ritual. Sie erreichte den Eingang und trat ein, ohne zu klopfen. Isser sah sie und stand sofort auf.
»Ellie …«
Sie bewegte sich zögernd vorwärts und achtete auf eine Reaktion in seinem Gesicht.
Er lächelte und breitete die Arme aus. »Es ist viel zu lange her«, sagte Isser und umarmte sie.
Tatsächlich, es waren jetzt mehr als fünf Jahre. Sie hatten sich das letztemal kurz nach der Beerdigung ihres Mannes gesehen, als Isser jene Operation genehmigt hatte, an der sie seitdem
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