Der Rattenzauber
verlassen?«
Ludwig lächelte, weil er wußte, daß Aribo seine Wut nun an den Tagelöhnern auslassen würde, drehte sich um – und erblickte mich, der ich ihn unverwandt ansah.
»Was wollt Ihr?« fragte er grob.
Auch Aribo fuhr herum und erkannte mich. Sein Blick verriet harsche Ablehnung; zumindest darin waren sich die beiden Streithähne einig. »Ihr solltet Euch nicht so offen an Orten wie diesen zeigen«, sagte er. »Man mag Euch hier nicht.«
»Ich bezweifle, daß man Euch hier mag, Meister Aribo«, erwiderte ich gelassen. »Und was Euch angeht, Meister Ludwig – was glaubt Ihr wohl, wird der Herzog von Eurer Anordnung der beiden Wappen halten?«
Ludwigs Augenbrauen zuckten verächtlich. »Er wird es nicht bemerken.«
»Natürlich nicht«, antwortete ich. »Vorausgesetzt, man trägt es ihm nicht zu.«
Beide verstanden die Drohung, doch während Aribo verbissen schwieg, fragte Ludwig zum zweiten Mal:
»Was wollt Ihr?«
Ich trat einen Schritt auf die beiden zu. »Wie lange habt Ihr mit Eurem Meister gearbeitet?«
»Weshalb wollt Ihr das wissen?« fragte Ludwig gereizt.
»Ich bin ein Ritter des Herzogs, und Ihr tätet besser daran, meine Fragen zu beantworten, statt selbst welche zu stellen.«
»Acht Jahre«, sagte Aribo düster.
»Drei«, fügte Ludwig hinzu. Kein Wunder, daß es Streit unter den beiden gab, falls Nikolaus den Jüngeren tatsächlich vorgezogen hatte. Und daran bestand kein Zweifel, besaß Ludwig doch offenbar den schärferen Verstand.
»Kanntet Ihr seinen Mörder?« fragte ich.
Beide schüttelten den Kopf. Ludwig ergriff das Wort: »Meister Nikolaus war mit vielen Männern bekannt. Es ist kein Geheimnis, daß er dem Spiel mit den Würfeln zugetan war. Jeder hier wußte, daß sein Geldbeutel locker saß.«
»Ihr scheint keine hohe Meinung von Eurem Herrn gehabt zu haben«, stellte ich fest.
Ludwigs Blick verdüsterte sich, seine Lippen bebten vor Wut. »Wie könnt Ihr es wagen? Nikolaus war ein Baumeister wie kein zweiter. Sein Können war vollkommen, er beherrschte seine Kunst besser als jeder andere. Es war stets eine Ehre, für ihn zu arbeiten.«
»Ach ja?« fragte ich, und ich muß gestehen, allein um ihn zu reizen. »Nikolaus ist jedenfalls tot, sein Mörder gerichtet. Wir werden ihn in dieser Sache nicht mehr zu Rate ziehen können.«
»In welcher Sache?« fragte Aribo.
Ich gab darauf keine Antwort und fragte statt dessen:
»Wie lange war Nikolaus schon in der Stadt? Drei Monde, vielleicht vier?«
»Fast fünf«, erwiderte Ludwig.
»Warum hat er kurz vor seinem Tod die Herberge gewechselt? Gewiß hat er doch als Gast des Probstes im Marktviertel gewohnt. Wie kam es, daß er plötzlich eine Kammer in der ärmlichen Herberge bezog?«
»Woher sollen wir das wissen?« fragte Aribo trotzig.
Ludwig, dem tatsächlich am Andenken seines toten Meisters gelegen schien, sagte versöhnlicher: »Er sprach nicht mit uns darüber. Wir haben uns gewundert, aber wir fragten ihn nicht danach. Vielleicht wollte er jenen entgehen, bei denen er Schulden hatte.«
»Ohne Erfolg, wie es scheint«, bemerkte ich.
Ludwigs Miene erstarrte, er trat aufgeregt vor und zurück. »Ich frage Euch ein letztes Mal, Ritter: Was wollt Ihr? Ist es Euer Bestreben, Euch über den Meister lustig zu machen? Das zeugt von wenig Geschmack. Die Männer hier haben ihn geliebt. Ihr solltet es nicht auf die Spitze treiben mit Euren Fragen, sonst könnte sich manch einer weniger in der Beherrschung haben als wir.«
»Gut gesprochen«, stimmte Aribo zu.
»Ihr wollt mir drohen?« fragte ich.
»Geht – und laßt uns in Ruhe unsere Arbeit tun«, sagte Ludwig, wohlweislich ohne meine Frage zu beantworten. »Die Zeit drängt, morgen erwarten wir hohen Besuch. Bis dahin muß alles vollendet sein.«
Ich verstand nicht recht, ob er damit mein Mitgefühl für seine schwere Aufgabe erringen wollte oder einfach nur glaubte, mich mit der Erwähnung der Gäste beeindrucken zu können. Beides schlug fehl.
»Ich bin niemand, der das Andenken der Toten mißachtet«, erwiderte ich. »Und nichts liegt mir ferner, als den Ablauf des Spiels zu verzögern. Doch beantwortet mir noch eine Frage: Wißt Ihr etwas über das Verschwinden der Hamelner Kinder?«
Täuschte ich mich, oder verlor Aribos Gesicht bei meinen Worten an Farbe? Ludwig zumindest blieb gelassen: »Wir kamen beide erst danach in die Stadt.«
»Ist das die Wahrheit?«
»In der Tat. Und wie Ihr gewiß bemerkt habt, spricht man hier nicht gerne über das, was
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