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Der Rattenzauber

Titel: Der Rattenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Feuer? Oder ließt Ihr sie später verbrennen?«
    Von Wetterau zögerte. Ich spürte, daß er nahe daran war, die Wahrheit zu sagen. Dann aber nahm er sich zusammen und schüttelte den Kopf. »Hier geht es nicht um meine Schuld, sondern allein um die Eure. Ihr habt drei Kinder getötet, mit eigener Hand. Und ich will Euch noch etwas verraten, das Euch überraschen wird.«
    Ich sah ihn an und fühlte einen Anflug von Unsicherheit. Ich hatte geglaubt, ihn durchschaut zu haben. Gab es etwas, das ich übersehen hatte?
    Von Wetterau lächelte und trat auf mich zu. Sein heißer Atem traf mich wie ein Vorbote seines Triumphs.
    »Der Baumeister starb nicht wegen seiner Spielschulden«, sagte er leise. »Ihr habt ihn getötet, Ritter, Ihr allein! Erstaunt Euch das? Glaubt Ihr mir nicht?«
    Meine Überlegenheit geriet ins Schwanken. »Was meint Ihr? Ihr sagtet, daß –«
    »Daß ein Halunke auf der Durchreise ihn ermordete?« Sein Lachen war voller Hohn. »In der Tat, das sagte ich. Ich habe gelogen. Und wißt Ihr, weshalb? Um Euch zu schützen!«
    Ich taumelte zurück, als hätte er mir ins Gesicht geschlagen. Ich spürte die Wand in meinem Rücken, stützte mich ab. Das Blut an meinen Händen! Ich sah wieder das Blut an meinen Händen, fühlte das Messer in den Fingern.
    »Ja, es ist wahr!« rief der Probst aus. »Ich wollte, daß Ihr die Kunde von Liutbirgs Verbrechen am Hofe vorbringt. Euch hätte man geglaubt. Deshalb mußtet Ihr, koste es, was es wolle, zurück nach Braunschweig gelangen. Selbst, als Ihr in den Verdacht gerietet, den Baumeister getötet zu haben, hielt ich meine schützende Hand über Euch, damit nichts Eure Mission gefährdet – nicht einmal Ihr selbst.«
    »Aber, das ist …«
    »Unmöglich? Keineswegs.« Er trat auf mich zu und packte mich an den Oberarmen. »Ihr seid ein Mörder, Robert von Thalstein, und Ihr habt es die ganze Zeit gewußt! Und ganz gleich, was ich selbst getan haben mag – Ihr seid um keine Unze besser. Ihr seid ein armseliger Kranker. Ihr, edler Ritter, seid dem Wahnsinn anheimgefallen!«
    Damit ließ er mich los, trat zur Tür und pochte dagegen. Sofort öffnete man und ließ ihn gehen.
    Ich blieb allein zurück.
    Krank, erniedrigt, erfüllt von schrecklicher Gewißheit.
    ***
    Den Vormittag über beobachtete ich das Treiben auf dem Marktplatz. Doch die Ankunft des Herzogs blieb aus. Ich hatte mich dem schwachen Trost verschrieben, den einreitenden Hofstaat durch Rufe aus dem Fenster auf mein Unglück aufmerksam zu machen. Ich wußte selbst, wie erbärmlich diese Hoffnung war.
    Die Sonne mochte ihren höchsten Stand schon überschritten haben, als mir der Rattenkönig erschien. Seine verwachsenen Leiber krochen schwerfällig über den Kerkerboden, die verzogenen Kiefer schnappten und spuckten. Es sah aus, als wollte er zu mir sprechen. Die beiden Köpfe wanden sich lahm an den Schultern, die blanken Schwänze peitschten im Staub. Ich glaubte, daß er mir einen Fluchtplan erklären wollte, deshalb beugte ich mich näher zu ihm hinunter, wollte mein Ohr an seine Schnauzen legen. Doch als ich so dahockte, den Kopf seitlich auf den Boden gepreßt, da begriff ich, daß der Rattenkönig verschwunden war. Lautlos hatte er sich in Luft aufgelöst, ohne daß ich seine Botschaft begriff.
    Allzu gerne hätte ich den Bronzekopf zu diesem merkwürdigen Vorfall befragt. Aber der Schädel war fern, in der Herberge, vielleicht sonstwo.
    Irgendwann, ich war in traumschweren Halbschlaf gefallen, hörte ich ein Scharren am Eingang. Jemand machte sich am Riegel zu schaffen, unbeholfen, wie mir schien, denn es dauerte einige Augenblicke, bis die Tür nach innen schwang. Ich erwartete erneut von Wetterau, vielleicht gar den Bürgermeister, um so größer war mein Erstaunen.
    Ein Mann trat ein, dürr, gebückt, mit ausgezehrten, bärtigen Zügen. Er trug Kleidung, die vor Dreck nur so starrte, aus Stoffen, die früher bunt gewesen sein mochten, nun aber nur noch braun und fleckig ihrem Verfall entgegenfaulten. Es war die Tracht eines Spielmanns, und auf seinem Kopf saß eine zerschlissene Mütze.
    Es war der Rattenfänger.
    Der Mann öffnete den Mund, doch im selben Moment trat hinter ihm eine zweite Gestalt durch die Tür, jemand, der mir ungleich vertrauter war.
    Als er sprach, klang seine Fröhlichkeit gezwungen:
    »Und ich glaubte, wir könnten unser Wiedersehen mit bestem Florentiner Wein begießen.«
    »Dante!« rief ich und sprang dem Freund entgegen.
    Wir umarmten uns herzlich, dann löste ich

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