Der rauchblaue Fluss (German Edition)
kam näher und flüsterte: »Unter uns, Barry, das ist der Anlass für dieses Dinner – ich beabsichtige, den Namen meines Nachfolgers bekannt zu geben.«
»Den nächsten Präsidenten?«
»Ja, so ist es … «
Mr. Lindsay wollte noch etwas sagen, aber ein Blick über Bahrams Schulter ließ ihn verstummen. Mit einem raschen »Entschuldigen Sie mich« entfernte er sich. Bahram drehte sich um und stand vor Lancelot Dent.
Dents Erscheinung hatte sich auffallend verändert, seit Bahram ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Ein schmächtiger Mann mit schmalem Gesicht und fliehendem Kinn, hatte er sich inzwischen einen Spitzbart wachsen lassen, wahrscheinlich, um sein Kinn länger erscheinen zu lassen. Er sprudelte schier über von einer Freundlichkeit, die Bahram gar nicht an ihm kannte.
»Ah, Mr. Moddie! Gratuliere zu Ihrer Ernennung – wir freuen uns, Sie in unserer Mitte zu sehen. Mein Bruder Tom lässt seine besten Wünsche ausrichten.«
»Ich danke Ihnen«, sagte Bahram höflich. »Darüber freue ich mich sehr. Und ab sofort müssen Sie natürlich Barry zu mir sagen.«
»Und Sie zu mir Lancelot.«
»Ja. Gewiss, Lance…« Der Name war nicht so leicht auszusprechen, doch Bahram riss sich zusammen und sprudelte ihn hervor: »Natürlich, Lancelot.«
Der Gongschlag tat kund, dass angerichtet war, und Dent hakte sich sofort bei Bahram unter. Da es keine Tischkarten gab, blieb Bahram nichts anderes übrig, als sich auf dem Stuhl neben Dent niederzulassen. Links von ihm saß John Slade vom Canton Register .
Slade war schon so lange Mitglied im Komitee, dass seine Anwesenheit bei dem Dinner keine Überraschung war. Abgesehen von seiner Funktion als Herausgeber der Zeitung dilettierte er auch als Händler, freilich ohne großen Erfolg. Es hieß, er sei hoch verschuldet, doch so groß war die Furcht vor seiner scharfen Zunge und seiner spitzen Feder, dass kaum ein Gläubiger ein Darlehen von dem Donnerer zurückzufordern wagte.
Von Donner war jedoch keine Rede, als Slade nun Bahram begrüßte: Sein großes, erhitztes Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, und er brummte: »Hervorragend … hervorragend … sehr erfreut, Sie im Komitee zu haben, Mr. Moddie.«
Dann ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen, und seine Miene verhärtete sich. »Was ich von dem Bulgaren nicht sagen kann.«
Verblüfft folgte Bahram Slades Blick und sah, dass der Donnerer zu Charles King von Olyphant & Co. hinüberschaute. Das war eine amerikanische Firma, und Bahram wusste genau, dass Mr. King Amerikaner war.
Er fragte nach, ob er sich verhört habe.
»Nein, nein, ich sagte ›Bulgare‹.«
»Aber ich dachte immer, Mr. King sei aus Amerika. Sind Sie sicher, dass er Bulgare ist?«
»Es ist nicht unmöglich«, erwiderte Slade sibyllinisch, »beides zu sein.«
»Ogottogott! Amerikaner und Bulgare zugleich? Ist das nicht ein bisschen viel?«
Hier kam ihm Dent zu Hilfe und flüsterte ihm ins Ohr: »Sie müssen dem guten Mr. Slade einiges nachsehen: Er ist sehr um die Reinerhaltung der Sprache bemüht und verabscheut vulgäre Ausdrücke. Ganz besonders gegen den Strich geht ihm das Wort ›bugger‹, das sich beim gemeinen Volk so großer Beliebtheit erfreut. Er glaubt, es sei eine verstümmelte Form von ›Bulgare‹, und deshalb benutzt er stattdessen dieses Wort.«
Damit stürzte er Bahram in noch tiefere Verwirrung, denn er hatte immer angenommen, »bugger« sei die englische Form des Hindustani-Wortes »bakra« für »Ziegenbock«.
»Mr. King hält sich demnach Ziegen?«, fragte er Mr. Slade.
»Sollte mich nicht wundern«, erwiderte Mr. Slade betrübt. »Jeder weiß doch, dass ein geborener Bulgare alles bulgarisiert, worauf er Lust hat. Amantes sunt amentes.«
Bahram hatte noch nie gehört, dass sich jemand in Fanqui-Town Ziegen hielt, aber am ehesten konnte man das noch bei einem Repräsentanten von Olyphant & Co. vermuten, einer Firma, die von jeher der Außenseiter in Fanqui-Town gewesen war, weil sie sich oft auf abseitige, verlustreiche Geschäfte kaprizierte. Obendrein waren die Firmenchefs so dreist, andere dafür zu kritisieren, dass sie nicht dem Vorbild von Olyphant & Co. folgten. Wie man sich denken kann, machten sie sich damit bei ihresgleichen nicht eben beliebt.
Bahram war einer der wenigen Taipans, die gut mit Charles King standen – was aber nur daran lag, dass er in der Regel über Dinge sprach, die nichts mit dem Geschäft zu tun hatten. Er wusste sehr gut, dass dem Vertreter von Olyphant aus den
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