Der rauchblaue Fluss (German Edition)
großem Umfang. Die Beamten würden gemeinsam mit den Kaufleuten nach Möglichkeiten suchen, Opium nach China zu importieren.«
»Hah!« Bahram strich sich im Hin- und Hergehen den Bart. »Fahren Sie fort. Was schreibt er noch?«
»Ein anderer Vorschlag läuft darauf hinaus, jeglichen Handel und alle Geschäftsbeziehungen mit ausländischen Kaufleuten zu unterbinden. Aber auch das würde nicht funktionieren, meint er.«
»Und warum nicht?«
»Weil die ausländischen Schiffe lediglich vor der Küste ankern und ihre chinesischen Geschäftspartner schnelle Boote aussenden, um das Opium einzuschmuggeln. Diese Methode hat keine Aussicht auf Erfolg, sagt er.«
Bahram blieb vor dem Glas stehen, in dem der glotzäugige Goldfisch endlos kreiste, als wollte er die wehenden Bänder seines Schwanzes einfangen.
»Was schlägt er denn selbst vor? Was soll der Hof seiner Meinung nach unternehmen?«
»Es scheint, Sethji, dass die chinesischen Beamten untersucht haben, wie die Europäer mit Opium umgehen. Sie haben festgestellt, dass die Europäer in ihren eigenen Ländern Verkauf und Gebrauch des Rauschgifts strikt beschränken. Den freien Verkauf billigen sie nur im Orient und in Ländern, die sie sich einverleiben wollen. Als Beispiel führt er Java an; er sagt, die Europäer hätten den Javanern das Opium gebracht und sie dazu verführt, um sie leichter überwältigen zu können, und genau das sei geschehen. Da den Europäern seine Wirkung bekannt ist, achten sie sehr darauf, das Opium in ihren eigenen Ländern zu kontrollieren, wobei sie auch vor strengsten Maßnahmen und schwersten Strafen nicht zurückschrecken. So muss seiner Ansicht nach auch China vorgehen. Er schlägt vor, allen Opiumrauchern ein Jahr Zeit für die Entwöhnung zu geben. Wenn sie das Rauschgift danach immer noch nehmen oder damit handeln, soll dies als Kapitalverbrechen geahndet werden.«
»Was meint er damit?«
»Die Todesstrafe, Sethji: mawt ki saza. Jeder, der Opium nimmt oder damit handelt, soll zum Tode verurteilt werden.«
Der Seth schnaubte ungläubig: »Was reden Sie da für einen Unsinn? Da muss ein Missverständnis vorliegen.« Er ging steifbeinig zu Nil hinüber und blickte ihm über die Schulter. »Wo steht das denn alles? Zeigen Sie’s mir.«
»Hier bitte, Sethji.« Die aufgeschlagene Zeitung in den Händen, erhob sich Nil und zeigte Bahram die angestrichenen Passagen.
»Sehen Sie, Sethji? Hier steht: ›Ein Delinquent sollte zusätzlich zur Todesstrafe durch den Ausschluss seiner Kinder und Enkel von den öffentlichen Prüfungen bestraft werden …‹ «
»Genug! Meinen Sie, ich kann kein Angrezi lesen?«
Die Falten auf Bahrams Stirn vertieften sich, während er die Passage überflog, doch dann hellte sich seine Miene plötzlich auf. »Aber das ist doch lediglich ein Memorandum, nicht wahr? Das Geschmier von irgend so einem Halbaffen. Solche Schriften muss es Hunderte geben. Der Kaiser wirft sie weg und vergisst sie wieder. Was kümmert es ihn? Er ist Kaiser, beschäftigt mit seinen Ehefrauen und alldem, nicht wahr? Mandarine dulden keine Veränderung – woher würden sie sonst ihr cumshaw bekommen? Womit ihre Pfeifen stopfen? Diese banchods sind die größten Opiumraucher überhaupt.«
Bahram kannte Hugh Hamilton Lindsay, den derzeitigen Präsidenten der Kantoner Handelskammer, seit vielen Jahren. Der rundliche Mann mit den seidenweichen Umgangsformen entstammte der prominenten schottischen Dynastie der Earls of Balcarra. Er war seit etwa sechzehn Jahren in China und als netter Kerl ohne irgendwelche Allüren allseits beliebt. Bahram hatte oft mit ihm diniert und kannte ihn als exzellenten Gastgeber und hochkarätigen Gourmet.
Deshalb war er beschwingter Laune, als er seine Garderobe für Mr. Lindsays Dinner zusammenstellte. Statt eines angarkha entschied er sich für ein knielanges weißes Hemd aus Dacca-Baumwolle; es war dezent mit weißem Jamdani-Brokat verziert, und Halsausschnitt und Manschetten waren mit grüner Seide gesäumt. Statt dazu wie üblich einen salwar oder eine Baumwollhose zu tragen, wählte Bahram eine schwarze, silberdurchwirkte, an den Unterschenkeln eng anliegende Hose. Da es draußen immer noch recht warm war, nahm er als Übergewand einen cremefarbenen Baumwoll-choga mit silbervergoldeter Karchobi-Stickerei. Komplettiert wurde das Ensemble durch einen Turban aus reinem Malmal-Musselin. Während er einen dünnen Gehstock mit Elfenbeinknauf auswählte, versprühte der Khidmatgar, der an diesem Tag als
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