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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Kammerdiener fungierte, sein Lieblings-attar aus raat-ki-rani. Nachdem er noch einen Augenblick in der Duftwolke innegehalten hatte, wandte sich Bahram zum Gehen.
    Das Dinner sollte im Speisesaal der Kammer stattfinden, nur fünf Gehminuten vom Achha Hong entfernt. In Kanton war es jedoch der Brauch, Laternenträger zu mieten, wenn man abends ausging, auch für kurze Strecken. Bahram beschäftigte seit Jahrzehnten ein und denselben Träger: Ausländer kannten ihn unter dem Namen Apu, und er hatte die unheimliche Fähigkeit zu erraten, wann er gebraucht wurde. Außerdem war er offenbar mit einer mysteriösen Überredungskunst gesegnet, die ihn in die Lage versetzte, die Schnorrer und Bauerntölpel auf dem Maidan auf Distanz zu halten. An diesem Abend fand sich Apu wie immer pünktlich kurz vor Sonnenuntergang ein, und bald danach brach Bahram auf. Mit seinem im Wind wehenden bestickten choga und der leuchtenden Papierlaterne über seinem weißen Turban bot er ein wahrlich eindrucksvolles Bild, doch so wirksam waren die geheimen Kräfte seines Laternenträgers, dass er als einziger Passant nicht mit »Cumshaw, geb cumshaw!«-Rufen belästigt wurde.
    Das Gewühl und der Lärm auf dem Maidan versetzten Bahram in seine frühen Jahre in Kanton zurück: Er blieb stehen und ließ den Blick schweifen – zum dräuend massigen Sea-Calming Tower in der Ferne, zu den Mauern der Zitadelle, die sich einem grauen Vorhang gleich hinter der Enklave hinzogen, und zu den schmalen Fassaden der Faktoreien im Schein des letzten Tageslichts: Die Bogenfenster der Hongs schienen ihm zuzublinzeln, die Säulenvorbauten zu lächeln, als begrüßten sie einen alten Freund. Bei dem Anblick schwoll Bahram die Brust vor Besitzerstolz. Nach all den Jahren war es immer noch ein erregender Gedanke, dass er so sehr Teil dieser Szene war, wie ein Ausländer es sich nur je erhoffen konnte.
    Am Eingang zum dänischen Hong standen zwei beturbante Pförtner Wache. Sie waren aus Tranquebar bei Madras, und als sie Bahram erblickten, verneigten sie sich: Als Doyen der Achha-Gemeinde von Kanton war er ihnen wohlbekannt. Unter gemurmelten Begrüßungen geleiteten sie ihn durchs Tor und in die Faktorei.
    Beim Durchqueren des Hofs, der zu den Räumen der Handelskammer führte, konnte Bahram sehen, dass viele von Mr. Lindsays Gästen sich bereits im Klub versammelt hatten: Der Empfangsraum und der Speisesaal waren hell erleuchtet, und er hörte Stimmen und Gläserklirren. Am Eingang des Empfangsraums blieb er stehen, um erst einmal hineinzuspähen: Die anwesenden Männer trugen kaum andere Farben als Schwarz und Weiß, und er wusste, dass er mit seinen gold- und silberdurchwirkten Gewändern großen Eindruck machen würde; er strich über den Rock seines choga, um ihn aufzufächern und möglichst vorteilhaft zur Geltung zu bringen.
    Ein herzlicher Empfang wurde ihm zuteil. Er kannte fast alle Anwesenden und begrüßte viele von ihnen mit Umarmungen und sogar Küssen. Er wusste, dass er keine Zurückweisung zu befürchten hatte: Derlei Überschwang mochte bei einem Europäer deplatziert erscheinen, bei einem Orientalen von entsprechendem Rang aber galt er eher als Zeichen von Selbstbewusstsein. Als junger Achha in Kanton hatte Bahram festgestellt, dass solche Ausbrüche mehr oder weniger ein Vorrecht der ranghöchsten Seths waren; ebenso hatte er bemerkt, dass die Älteren dazu neigten, anderen ihre physische Präsenz aufzudrängen, um ihre Macht zu demonstrieren. Voller Genugtuung registrierte er, dass auch er jetzt einen Punkt im Leben erreicht hatte, an dem seine Umarmungen, seine Küsse und sein Schulterklopfen allgemein begrüßt wurden, sogar von den steifsten Europäern.
    Der Gastgeber, Mr. Lindsay, erschien an Bahrams Seite, murmelte seine Gratulation und hieß ihn im Komitee willkommen. Dann musste Bahram das Ganzfigurbildnis des Gastgebers bewundern, das jetzt bei den Porträts der früheren Kammerpräsidenten hing.
    »Gewiss haben Sie gleich erkannt«, sagte Mr. Lindsay stolz, »dass es ein Werk von Mr. Chinnerys Hand ist.«
    »Arré, shahbash!«, sagte Bahram und lobte das Gemälde pflichtschuldig. »Wunderbar hat er das gemacht, nicht wahr? Ihnen den Degen in die Hand gegeben und so weiter. Sie wirken wie ein Held!«
    Mr. Lindsays Gesicht erblühte vor Zufriedenheit. »Ja, ist in der Tat gelungen, nicht wahr?«
    »Doch warum schon jetzt, Hugh? Ihre Amtszeit als Präsident ist doch noch nicht zu Ende.«
    »Nun ja, es sind nur noch ein paar Monate.« Er

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