Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
Vom Netzwerk:
obersten Rängen Fanqui-Towns tiefe Feindseligkeit entgegenschlug, und war verblüfft, ihn unter den Mitgliedern des Komitees zu sehen.
    Mit einem ratlosen Stirnrunzeln wandte er sich an Dent: »Sitzt Charles King ebenfalls im Komitee?«
    »Ja, allerdings. Er wurde als Mitglied eingeladen, weil er bei den Mandarinen einen Stein im Brett hat. Im Komitee war man der Meinung, er werde in der Lage sein, ihnen unsere Ansichten auseinanderzusetzen. Ehrlich gesagt hat sich diese Hoffnung aber nicht so recht erfüllt: Statt vor den Mandarinen unsere Interessen zu vertreten, tut er immer wieder genau das Gegenteil. Ständig versucht er, uns mit Drohungen und Einschüchterungen dazu zu bringen, seinen himmlischen Gönnern Gehorsam zu leisten.«
    In diesem Moment brachten die Kellner des Klubs den ersten Gang. Sie waren allesamt Einheimische, mit Zöpfen, Rundkappen und Sandalen an den Füßen. Ihre Tuniken hatten die Klubfarbe Blau und wurden über grauen, knöchellangen Hosen getragen.
    Im Gegensatz zu den Kellnern stammten viele der Köche der Handelskammer aus Macao. Wenn sie nicht gezwungen waren, die Kost zu liefern, die im Speisesaal des Klubs am häufigsten verlangt wurde – Roastbeef, Yorkshire-Pudding, Haggis, Steak-und-Nieren-Pudding und dergleichen mehr – , konnten sie exzellente macanesische Spezialitäten auftischen. Als Bahram jetzt auf seinen Teller schaute, sah er voller Freude, dass man ihm eines seiner Leibgerichte vorgesetzt hatte, eine hellgrüne Wasserkressensuppe namens Caldo de Agrião. Dazu wurden allerlei Gewürze sowie ein vorzüglicher Alvarinhowein aus Monç ã o gereicht.
    Bahram konzentrierte sich ganz auf den Wein und die Suppe, als Mr. Slades Stimme durch den Raum dröhnte: »Tja, Mr. Jardine, da sich niemand sonst zu fragen traut, ist es an mir, der Katze die Schelle umzuhängen. Trifft es zu, dass Sie beabsichtigen, schon bald nach England zurückzukehren?«
    Die Suppe war plötzlich vergessen, und alle Köpfe wandten sich Mr. Jardine zu, der am anderen Ende der Tafel saß, zwischen dem Gastgeber und Mr. Wetmore. Auf seinem faltenlosen Gesicht erschien ein spöttisches Lächeln, und er sagte leise: »Nun, Mr. Slade, ich hatte eigentlich vor, meine Absichten erst am Ende dieses Abends zu verkünden, doch da Sie mir jetzt die Gelegenheit geben, will ich sie auch ergreifen. Die Antwort lautet kurz und bündig: Ja, ich habe in der Tat vor, nach England zurückzukehren. Das Datum steht noch nicht fest, aber wahrscheinlich ist es in ein, zwei Monaten so weit.«
    Stille trat ein, und manch ein Löffel blieb in der Schwebe. Bevor jemand etwas sagen konnte, ergriff Mr. Lindsay das Wort und sagte in seinem gemessenen Tonfall: »Der Drang nach den Freuden der Ehe und der Vaterschaft ist bei allen Männern stark ausgeprägt. Wir können von Mr. Jardine nicht erwarten, dass er sein Glück auf ewig hinausschiebt, um uns mit seiner unerreichten Führerschaft zu erfreuen. Wir können uns glücklich schätzen, dass er uns so lange zur Verfügung gestanden hat. Jetzt ziemt es uns, ihm zu wünschen, dass er die Braut findet, die er verdient.«
    Dies wurde mit allseitigem Nicken und einem leisen Chor von »Amen« und »hört, hört« quittiert, den Mr. Jardine mit einem Lächeln entgegennahm. »Danke, Gentlemen, ich danke Ihnen: Ich werde Ihre guten Wünsche gewiss brauchen können. Ich habe so wenig Erfahrung mit weiblicher Gesellschaft, dass ich mich glücklich schätzen kann, wenn es mir gelingt, eine Frau zu finden, die dick, blond und vierzig ist. Mehr darf sich ein Mann meines Alters nicht mehr erhoffen.«
    Unter dem lauten Gelächter, das daraufhin ausbrach, verschwanden die Suppenteller wie durch Zauberei, und es wurden verschiedene Gerichte aufgetragen. Bahram entdeckte bei genauem Hinsehen viele seiner macanesischen Lieblingsgerichte: Bacalhau-Kroketten, Schweinefleisch-Frikadellen, einen scharf gewürzten Salat aus Avocados und Garnelen, gefüllte Krebse und Fischpastete.
    Mr. Slade ließ sich von dem Essen nicht lange ablenken. Nachdem er rasch zwei Glas Wein und mehrere Teller Krebse, Kabeljau und Frikadellen weggeputzt hatte, wandte er sich erneut an Mr. Jardine: »Also, Sir, da so viele von uns an diesem Tisch alte Junggesellen und mit unserem Los durchaus zufrieden sind – wie es bis vor Kurzem ja auch bei Ihnen der Fall zu sein schien – , werden Sie es uns vielleicht nachsehen, wenn wir uns fragen, ob die Verlockungen des Ehebetts der einzige Grund dafür sind, dass Sie uns verlassen

Weitere Kostenlose Bücher