Der rauchblaue Fluss (German Edition)
Schwester … «
Dass Allow in dieser Weise von Chi-mei sprach, war mehr, als Bahram ertragen konnte. Er fuhr herum, und seine Augen sprühten Funken. »Wailo, Allow!«, rief er. »Was-Ding du sag? Nummer-eins Schwester nix Sing-song girl. Gut Frau, arbeit hart, kümmer Junge-chilo. Nix Sing-song girlie. Allow savvy nix savvy ah?«
Allow wich zurück, und seine Augen weiteten sich. »Sorry! So sorry, Mister Barry. Allow auch so viel traurig innen, sag schlecht Ding.«
In diesem Moment flog die Tür auf, und Vico stürmte herein. »Kya hua – was ist passiert, Patrão?«
Bahram zitterte jetzt; er wandte seinem Besucher den Rücken zu und lehnte sich wieder ans Fenster.
»Führen Sie ihn hinaus, Vico«, sagte er mit einer brüsk zurückweisenden Geste. »Sagen Sie ihm, es geht nicht. Ich will mit Leuten wie Innes und diesem Burschen da nichts zu tun haben. Das Risiko ist zu groß.«
»Sehr wohl, Patrão.«
An der Tür drehte sich Allow noch einmal um. »Mister Barry«, sagte er, »Sie denk, was ich sag. Wenn Sie woll, wir kann mach pidgin. Allow immer bereit. Besser mach pidgin, vor neue Gouverneur komm.«
Bahram war so wütend, dass eine Flut von Kantoner Schimpfwörtern aus ihm hervorbrach: »Gaht hoi! Puk chaht hoi … «
Als Vico kurz darauf mit dem neuen Munshi zurückkam, explodierte Bahram: »Was ist eigentlich mit meinem Personal los? Warum bekomme ich nie richtige Neuigkeiten zu hören, von keinem von Ihnen? Warum muss ich alles von anderen erfahren?«
»Was meinen Sie, Patrão? Was für Neuigkeiten?«
»Neuigkeiten von dem neuen Gouverneur, diesem Lin Jiju oder Zexu oder so. Warum habe ich von Ihnen nichts über ihn erfahren?«
Vico war es, der Nil sagte, wie er an die neuesten Nachrichten gelangen konnte. »Das Register erscheint dienstags, Munshi, aber gedruckt und fertiggemacht wird es sonntags und montags. Manchmal auch schon früher.«
»Und was nützt mir das?«, fragte Nil.
»Na, das liegt doch auf der Hand. Sie müssen dorthin, wo es gedruckt wird.«
Es gebe nur zwei englische Druckerpressen in Kanton, erklärte Vico. Die eine stehe im amerikanischen Hong und gehöre protestantischen Missionaren, die andere sei in der Thirteen Hong Street und werde von einem Chinesen betrieben, der viele Jahre bei Mr. De Souza, einem aus Goa stammenden und in Macao bekannten Drucker, in die Lehre gegangen sei. Vico kannte ihn gut, war über ihn auch seinem Gehilfen Liang Kuei-ch’uan begegnet – mit Fanqui-Namen Compton – und wusste, dass Compton immer Korrektoren suchte.
»Können Sie Korrektur lesen, Munshi?«
Nil war eine Zeit lang Mitherausgeber einer Literaturzeitschrift gewesen, und so konnte er mit Überzeugung sagen: »Ja, das kann ich.«
»Dann mache ich Sie mit Compton bekannt. Sein Laden ist der reinste Nachrichtenbasar.«
Die Thirteen Hong Street trennte Fanqui-Town von den südlichen Vororten der Stadt. Eine Straßenseite war von den Rückseiten der ausländischen Faktoreien gesäumt, von denen einige durch kleine Pforten mit der verkehrsreichen Durchgangsstraße verbunden waren. Auf der anderen Seite reihten sich unzählige Werkstätten und Ladenhäuser aneinander, große und kleine, alle geschmückt mit Bannern und Wimpeln, auf denen ihre Waren angepriesen wurden: Seide, Lackwaren, Elfenbeinschnitzereien, künstliche Gebisse und vieles andere mehr.
Comptons Druckerei unterschied sich von ihren Nachbarn dadurch, dass es hier keine Ladentische gab und keine Waren zum Kauf angeboten wurden. Der Besucher trat in einen mit Papierstapeln vollgestopften Raum, in dem es nach Druckerschwärze und Räucherwerk roch. Die Druckerpresse war nicht zu sehen; gedruckt wurde tief im Innern des Gebäudes.
Als Nil und Vico eintraten, fuhr ein Junge, der auf einem Stapel alter Ausgaben des Register gedöst hatte, erschrocken hoch und flitzte durch eine Tür hinaus. Einen Moment später sahen sie ihn wieder, wie er sich hinter einem beleibten, gehetzt wirkenden Mann versteckte, der aus dem Inneren des Gebäudes auftauchte.
»Mr. Vico! Nei hou ma?«
»Hou leng, Mr. Compton. Und Ihnen?«
Compton hatte ein volles, rundes Gesicht, dessen Form sich in den Gläsern der Brille wiederholte, die gefährlich tief auf seiner Nasenspitze saß. Sein graues Gewand verschwand teilweise unter einer mit Druckfarbe verschmierten Schürze, sein Zopf war zu einem festen Handwerkerknoten gebunden.
»Und das ist Ihr pang-yauh, Mr. Vico?« Compton sah Nil mit dem besorgten Stirnrunzeln des chronisch Kurzsichtigen
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