Der rauchblaue Fluss (German Edition)
lachen. »Mat-yeh?«, sagte er. »Sie sehen nicht? ›Dollar‹ ist maan auf Kantonesisch.«
So viel Einfallsreichtum begeisterte Nil. Statt der phonetischen Symbole hatte Compton für die Aussprache des englischen Wortes ein Schriftzeichen benutzt, das so ähnlich klang, wenn man es im Kantoner Dialekt aussprach. Für längere und kompliziertere Wörter hatte er zwei oder mehr einsilbige kantonesische Wörter aneinandergereiht: »today – heute« wurde zu »to-teay« und dergleichen mehr.
»Und das haben Sie ganz allein gemacht?«
Compton nickte stolz und sagte, er überarbeite und erweitere das Glossar jedes Jahr, was einen gleichbleibenden Absatz gewährleiste.
Als Nil später in seiner Kammer darüber nachdachte, erkannte er, dass seine Begegnung mit Compton etwas von einer Fügung hatte. Es war, als hätte ihn das Schicksal in den Dunstkreis eines verwandten Geistes geführt, eines Mannes, der Wörter ebenso hoch schätzte wie er selbst. Er fragte sich, weshalb es kein Pidgin-Glossar für Englisch oder Hindustani sprechende Benutzer gab; die Ausländer in Fanqui-Town mussten die Verkehrssprache der Enklave doch genauso verstehen wie ihre Gastgeber. Eine englische Ausgabe der Fremde-Teufel-Sprache würde mit Sicherheit auf großes Interesse stoßen.
Mitten in der Nacht setzte er sich im Bett auf. Natürlich musste ein solches Buch geschrieben werden, und wer eignete sich besser dafür als er selbst, in Zusammenarbeit mit Compton?
Am nächsten Tag eilte er, kaum hatte er seine Pflichten im daftar erledigt, in die Thirteen Hong Street. In der Druckerei angelangt, verkündete er: »Ich habe einen Vorschlag.«
»Ngo? Was für einen?«
»Hören Sie zu, Compton … «
Wie sich herausstellte, hatte auch Compton schon daran gedacht, eine englische Fassung der Fremde-Teufel-Sprache herauszubringen. Auf der Suche nach einem Mitarbeiter hatte er mehrere Engländer und Amerikaner angesprochen, aber alle hatten ihn nur ausgelacht.
»Sie denken-la, Pidgin nur ist gebrochen Englisch, wie Sprache von Baby. Sie nicht verstehen. Ist nicht so einfach bo.«
»Also kann ich es machen?«
»Yat-dihng! Yat-dihng!«
»Was heißt das?«, fragte Nil aufgeregt.
»Ja. Natürlich.«
»Do-jeh, Compton.«
»M’ouh hak hei.«
Nil sah den Umschlag schon vor sich: Ein Mandarin im vollen Ornat würde darauf zu sehen sein. Auch ein Titel war ihm schon eingefallen: Die himmlische Chrestomathie – Ein vollständiger Führer mit Glossar zur Handelssprache in Südchina .
In Hongkong Pflanzen zu sammeln war eine größere Herausforderung, als Fitcher oder Paulette gedacht hatten. Der Höhenrücken, der sich mit seinen überall steil abfallenden Hängen fast über die gesamte acht Meilen lange Insel zog, war nirgendwo weniger als einhundertfünfzig Meter hoch; einige seiner Gipfel erreichten über dreihundert Meter, und den höchsten schätzte Fitcher auf etwa sechshundert Meter. Der Boden war granithaltig, glitzerte von Feldspat, Quarz und Glimmer und geriet leicht ins Rutschen; schon beim kleinsten Fehltritt konnte eine Lawine durch eine baumlose Schlucht hinabdonnern. Da und dort war der zersetzte Granit von Moder und Farn bedeckt und wirkte dadurch trügerisch stabil; schon ein kurzer Moment der Unachtsamkeit konnte einen bösen Ausrutscher oder gar einen Sturz zur Folge haben.
Die steilen Hänge und das felsige Gelände machten Fitchers Gelenken arg zu schaffen, und wenn er einen Tag lang Pflanzen gesammelt hatte, litt er oft Schmerzen. Er wollte sich jedoch nicht eingestehen, dass sein vorgerücktes Alter einen Tribut von seinem Körper forderte, und machte damit häufig alles noch schlimmer: Er plante lange Exkursionen und erklärte beharrlich, solche Strecken sei er von den Mooren Cornwalls her gewohnt, ohne das andersartige Gelände zu berücksichtigen. War er erst einmal aufgebrochen, hielt er Paulettes Vorhaltungen zum Trotz eisern durch und bezahlte den Ausflug hinterher mit unerträglichen Schmerzen.
Es wurde kälter, Fitchers Knie- und Hüftgelenke wurden noch steifer, und seine Schmerzen verschlimmerten sich so sehr, dass er sich, wollte er weiter Pflanzen sammeln, damit abfinden musste, es nicht mehr zu Fuß tun zu können. Aber es gab auf Hongkong weder Fahrzeuge noch Straßen und auch kaum Wege, denn die Ansiedlungen der Insel lagen an der Küste verstreut, und ihre Bewohner bewegten sich meist mit Booten von Dorf zu Dorf.
Die Lösung des Problems wären Pferde gewesen, aber auch die gab es auf der Insel nicht,
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