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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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senkte die Stimme zu einem Flüstern: »Wer sag? Wo Sie hör das-Stück Neuheit?«
    Bahram machte eine unbestimmte Handbewegung. »Ein Mann sag. Wahr ist?«
    Punhyquas Blick wanderte um den Tisch. Er betrachtete die anderen Gäste, dann schüttelte er kaum merklich den Kopf. »Nix jetzt. Später wir sprech. Wo ist ruhig.«
    Bahram nickte und wandte sich wieder dem Essen zu. Neue Schüsseln waren aufgetragen worden, mit Haifischflossenröllchen und gedünsteten Fischfilets, kandierten Vogelnestern und Gänseleberragout, gebratenen Sperlingsköpfen und knusprigen Froschschenkeln, Stachelschweinhäppchen mit grünem Schildkrötenfett und Fischmägen im Seegrasmantel. Wunderbarerweise war ein Gericht köstlicher als das andere, und die erlesenen Genüsse versetzten Bahram in eine Art Träumerei, aus der er nur auftauchte, um zu nicken, wenn ein Bediensteter ihn fragte: »Woll essen?«
    Nach zweistündigem Tafeln wurde den Gästen eine Verschnaufpause gewährt, in der sie sich auf weitere Leckerbissen vorbereiten konnten. Während sie sich hinausbegaben, um sich von den ersten dreißig Gängen zu erholen, tippten Punhyquas überlange Fingernägel Bahram dezent an und hielten ihn zurück.
    Sobald es möglich war, den Tisch unbeobachtet zu verlassen, schob Punhyqua seinen Stuhl zurück und führte Bahram aus dem Saal und über eine Brücke zu einer kleinen Insel, auf der ein achteckiger Pavillon stand. Er trat ein und bedeutete Bahram, auf einer Steinbank Platz zu nehmen, er selbst ließ sich auf einer ähnlichen Bank gegenüber nieder. Dann klatschte er leise in die Hände, und fast augenblicklich erschien ein Dolmetscher, der diskret zu ihm trat und sich dann so vollkommen im Hintergrund hielt, dass außer seiner Stimme nichts mehr von ihm wahrzunehmen war.
    »Wah keuih ji … «, sagte Punhyqua, und der Dolmetscher begann zu übersetzen: »Mr. Chan fragt: Von wem Sie hören, neuer Mandarin nach Kanton kommt?«
    »Das tut nichts zur Sache.« Bahram zuckte die Achseln. »Aber stimmt es denn?«
    »Mr. Chan sagt: Überraschung, Sie hören so bald. Niemand Genaues weiß, nur dass Kaiser hat gerufen Gouverneur von Provinz Huguang nach Peking: sein Name Lin Zexu … «
    Lin Zexu sei ihm zwar nicht persönlich bekannt, sagte Punhyqua, aber er wisse einiges über ihn, denn sie kämen beide aus der Provinz Fujian. Lin Zexu entstamme einer armen, aber hoch angesehenen Familie, aus der zahlreiche bekannte Beamte und Politiker hervorgegangen seien. Er sei ein hervorragender Gelehrter, der seine Prüfungen für die Aufnahme in den Staatsdienst in ungewöhnlich jungen Jahren abgelegt habe. In der Beamtenhierarchie sei er rasch aufgestiegen und habe sich einen Ruf außergewöhnlicher Begabung und Integrität erworben: Er sei nicht nur als unbestechlich bekannt, sondern auch einer der wenigen im Reich, die sich nicht scheuten, den Ansichten des Hofes zuwiderlaufende Meinungen zu äußern. Wann immer ein schwerwiegendes Problem auftauche – eine Überschwemmung, ein Aufstand unzufriedener Bauern, ein Riss in einem lebenswichtigen Staudamm – , sei er es, an den sich die Regierung wende. Und so sei er als noch nicht Fünfzigjähriger auf einen der begehrtesten Posten im Land berufen worden, den des Gouverneurs der Provinz Kiangsi. Dort habe er offenbar erstmals mit britischen Opiumschmugglern zu tun gehabt.
    »Mr. Moddie erinner Schiff Name Lord Amherst ?«
    »Ja.« Bahram nickte. »Ich erinnere mich.«
    Die Affäre um die Lord Amherst war Bahram besonders lebhaft im Gedächtnis geblieben, weil er selbst am Rande in sie verwickelt gewesen war. Es war sechs Jahre her: Die Lord Amherst war als eines von etlichen britischen Schiffen ausgesandt worden, um die Nordküste Chinas zu erkunden, in der Hoffnung, neue Häfen ausfindig zu machen, über die man Opium und andere ausländische Waren ins Land schleusen konnte. Die Briten ärgerten sich seit Langem über die Beschränkungen, die ihnen von den chinesischen Behörden auferlegt wurden; als besonders restriktiv empfanden sie eine Bestimmung, die ausländische Kaufleute zwang, ihre Aktivitäten auf Kanton zu beschränken. Sie gingen davon aus, dass sich das Handelsvolumen beträchtlich ausweiten ließe, wenn sich Mittel und Wege fänden, diese Bestimmung zu umgehen.
    Die Lord Amherst sollte also Kontakte zu Personen herstellen, die eventuell geneigt waren, chinesische Gesetze und Verordnungen zu unterlaufen. Es war eine riskante Mission, aber es winkten hohe Gewinne; Kaufleute, denen es

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