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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Diensten stand, einem Botaniker oder Gärtner, der seit etwa dreißig oder fünfunddreißig Jahren in Kanton lebte. Und seltsamerweise war es dieser Mann – der Fanqui – , der Punhyqua das Bild gegeben hatte, aus demselben Grund, aus dem Mr. Penrose mir seines anvertraut hat: in der Hoffnung nämlich, dass es dabei helfen würde, die Blume aufzuspüren. Doch die Varietät war Punhyqua nicht bekannt, und trotz ausgedehnter Nachforschungen war es ihm nicht gelungen, etwas darüber in Erfahrung zu bringen. Seines Wissens ist auch der Engländer nie auf eine Spur der Blume gestoßen.
    Wieder sehe ich Dich jetzt vor mir, wie Du Dich fragst: Und wer war dieser Fanqui, dieser Engländer, dessen Schritten Du folgst?
    Sei versichert, dass ich es nicht versäumt habe, meinem Gastgeber diese Frage zu stellen – leider vergebens, denn er konnte sich nicht an den Namen des Mannes erinnern (was nach dreißig Jahren nicht weiter verwunderlich sein dürfte!).
    Das wäre alles, was ich Dir heute zu erzählen habe, wäre da nicht noch ein höchst glücklicher Umstand. Als wir im Begriff standen, uns von Punhyqua zu verabschieden, wurde ein anderer Cohong-Magnat hereingeführt. Ich erkannte ihn sofort, denn Mr. Chinnery hat auch ihn gemalt: Es war Mr. Wu Bingjian, der größte der Cohong-Händler, den Fanquis unter dem Namen Howqua bekannt.
    Howqua ist der älteste von ihnen und auch der weitaus reichste. Zadig Bey zufolge beläuft sich sein Vermögen auf dreißig Millionen spanische Dollar – stell Dir vor, liebe Paggli: Würde man diese Menge Silber einschmelzen, ergäbe das einen Klumpen, der schwerer wäre als zwölftausend Menschen! Doch wenn man Howqua sieht, würde man nie glauben, dass er einer der reichsten Männer der Welt ist: Laut Zadig Bey ist er für sein Asketentum ebenso bekannt wie für seine Großzügigkeit (einmal hat er einen Schuldschein über fünfundsiebzigtausend Dollar zerrissen, aus Mitleid mit einem Amerikaner, der ihm die Summe nicht zurückzahlen konnte und sich verzweifelt danach sehnte, in seine Heimat zurückkehren zu können!). Und was seine Gepflogenheiten anbelangt, so würde er, meint Zadig Bey, selbst bei einem Festmahl mit hundert Gängen nicht mehr als ein paar Happen zu sich nehmen. Er sieht auch aus wie ein Asket: sehr mager, knochendürr geradezu, mit hohlen Wangen und tiefen Augenhöhlen.
    Da saßen sie nun, diese beiden Finanzmagnaten, die zusammen die halbe City von London kaufen könnten, wenn nicht noch mehr, und zerbrachen sich gemeinsam den Kopf über Deine Kamelien! Sie erinnerten sich, dass der Engländer ein sonderbarer Bursche war, der Opiumpfeife sehr zugetan und bei seinen Landsleuten nicht allzu beliebt, und dass er auf die Insel Honam zog und dort in einer kleinen Hütte hauste. Schließlich fiel Howqua sein Name wieder ein (allerdings sprach er ihn wohl kaum korrekt aus): Es klang wie C-u-r, liebe Paggli – schwer vorstellbar, dass der Mann wirklich so hieß. Aber vielleicht weiß Mr. Penrose, ob es in Kanton einmal einen Botaniker solchen Namens gegeben hat?
    Ach ja, meine liebe Baronin von Pagglenhaven, ich darf nicht schließen, ohne Dir für den Brief zu danken, den Du Baburao mitgegeben hast: Er war einfach hinreißend! Ich war verzaubert von dem Bild, das er heraufbeschwor – Du, wie Du in den Kleidern Deines Galans durch Hongkong galoppierst! Lass Dir sagen, dass Du auch Baburao tief beeindruckt hast: Er schwört, Du machst als Sahib eine noch bessere Figur denn als Ma’am!
    Die Einladung zu dem Bankett hätte zu keinem günstigeren Zeitpunkt kommen können: Täglich schwirrten neue Gerüchte durch Fanqui-Town, und Bahram war es zu seinem wachsenden Unmut nicht möglich gewesen, sich in Ruhe mit irgendeinem der führenden Cohong-Kaufleute zu unterhalten. Einen Termin bei einem von ihnen hätte er ohne Weiteres bekommen, aber er wusste, dass sie sich in ihren Geschäftsräumen nicht offen äußern würden: Eine Begegnung bei einer gut besuchten Veranstaltung bot mehr Aussicht auf ein fruchtbares Gespräch.
    In der Vergangenheit hatten dergleichen gesellschaftliche Ereignisse mit verlässlicher Regelmäßigkeit stattgefunden, denn die Geselligkeit der Cohong-Kaufleute war sprichwörtlich, und oft waren sie die enthusiastischsten Teilnehmer der Zusammenkünfte in Fanqui-Town gewesen. Dieses Jahr aber zeigten sie sich wesentlich zurückhaltender: Bei Veranstaltungen in der Ausländerenklave gaben sie sich steif und erschienen meist mit großem Gefolge. Früher hatten

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