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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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der gemeinsame Tisch, an dem die Speisen serviert wurden. Nil schaute hinein und sah Asha-didi im Heck des Bootes sitzen, wo sie die Kochfeuer löschen half. Als sie zufällig aufblickte und Nil sah, erschrak sie sichtlich und kam herbeigeeilt. Sie begrüßte ihn nicht wie sonst, sondern fragte schroff und fast unhöflich: »Ekhaney ki korchhen – was machen Sie hier?«
    Nil war so verblüfft, dass er nur stammeln konnte: »Ich komme zum Essen … «
    »Nein!«, unterbrach sie ihn. »Sie sollten jetzt besser nicht hier sein.«
    »Warum nicht?«
    »Eben kam eine Anweisung der Behörden: Wir müssen schließen.«
    »So? Und warum?«
    Sie zuckte die Schultern. »Man will sichergehen, dass es hier keinen Ärger gibt.«
    Nil begriff nicht. »Was für Ärger?«, fragte er. »Ich bin gerade über den Maidan gegangen und habe unterwegs nichts Ungewöhnliches bemerkt.«
    »Nicht?« Sie presste ihre bemalten Lippen aufeinander und zog die Brauen hoch. »Und haben Sie auch zum Fluss geschaut?«
    »Nein.«
    »Dann schauen Sie.«
    Sie fasste ihn am Ellenbogen und drehte ihn zum Fluss hin, und nun sah er, dass in der offenen Fahrrinne in der Mitte, wo sonst um diese Zeit Hochbetrieb herrschte, keine Boote mehr unterwegs waren. Alle Kähne, Coracles und Sampans waren nach links und rechts ausgewichen, um zwei Kriegsdschunken Platz zu machen, die aus entgegengesetzten Richtungen auf Fanqui-Town zusteuerten.
    Kriegsdschunken sah man hier selten, und die beiden Schiffe boten mit ihren Kastellen vorn und hinten und den zahlreichen Flaggen und Wimpeln einen faszinierenden Anblick. Eines war ganz nahe, und Nil erblickte einen großen Trupp Soldaten an Bord – nicht solche, wie man sie normalerweise in der Stadt sah, sondern hochgewachsene Mandschu-Gardisten.
    »Was ist hier los?«, fragte Nil. »Wissen Sie’s?«
    Asha-didi schaute über die Schulter zurück und bedeutete ihm, sich zu ihr herabzubeugen.
    »Nicht genau«, flüsterte sie, »aber ich glaube, es soll eine Art Razzia stattfinden. In einer der Faktoreien.«
    Nil erschrak. »Wissen Sie, in welcher?«, fragte er.
    Sie lächelte und klopfte ihm beruhigend auf den Arm. »Nicht in Ihrer, keine Sorge. In der ganz am Ende – kennen Sie sie?«
    »Sie meinen die Creek-Faktorei?«
    »Ja.« Sie nickte. »Den Eho Hong.«
    Es dauerte einen Moment, bis Nil begriff. »Wie war das?«, fragte er. »Eho Hong nennen Sie die Creek-Faktorei? Das ist ein und dasselbe?«
    Wieder nickte sie. »Ja. Die Creek-Faktorei und der Eho Hong sind ein und dasselbe.«
    Von dem Balkon aus verfolgte Bahram genau, wie die Laskaren die Ladung des Kutters löschten. Die Kisten, die ihm gehörten, machten nur einen kleinen Teil der Fracht aus, doch er erkannte sie aus der Entfernung an den Spuren, die der Sturm auf ihnen hinterlassen hatte. Er begann mitzuzählen und war gerade bei sechs angelangt, als plötzlich vom Fluss her Gongschläge zu hören waren. Er fuhr herum. Der Blick auf die Mündung des nullah war versperrt, ein riesiges Schiff – eine Art Dschunke – hatte sich lautlos davorgeschoben und blockierte den Zugang zum Fluss.
    Dann sah Bahram, warum die Gongs ertönten: Sie begleiteten die Ausschiffung einer Abteilung Mandschu-Soldaten, die im Gänsemarsch von Bord gingen und sich im Hof der Zollstation zu einer Kolonne formierten; die vorderen Reihen liefen bereits auf die Creek-Faktorei zu.
    Konnte es sich um eine Razzia handeln? Einen Moment lang stand Bahram wie benommen da, dann rief er: »Innes! Innes! Sehen Sie … «
    Der Schweiß trat ihm auf die Stirn. Sein Atem ging stoßweise, er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen und wusste nur noch, dass er hier wegmusste. Er berührte seine Schärpe, um sich zu vergewissern, dass die Börse noch an ihrem Platz war. Dann zog er sich das Ende seines Turbans vors Gesicht, verließ den Balkon und eilte durch die Wohnung. Auf der Treppe hörte er Innes unten mit jemandem schimpfen, ob mit den Laskaren oder seinem Diener, war nicht zu unterscheiden.
    Was würde Innes tun, wenn die Soldaten bei ihm anlangten? Bahram konnte es sich nicht vorstellen, und es war auch nicht wichtig; Innes hatte keine Familie und auch keinen Ruf zu verlieren, er war ein zäher Bursche, er würde sich schon aus der Affäre ziehen – und falls nicht, konnte er auf Rückendeckung durch die britischen Kanonenboote zählen. Er, Bahram, aber konnte es sich nicht erlauben, auch nur einen Augenblick länger zu verweilen.
    Er trat in den Hof und lief zu dem Torbogen hinüber, der in

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