Der rauchblaue Fluss (German Edition)
hatte: Die Bootsleute und Hafenarbeiter, die ihm Schwierigkeiten machen wollten, mussten feststellen, dass ihm der Umgang mit ihresgleichen nicht fremd war, und wer ihm Spottnamen nachrief – Chin-chin-chinkie! – , merkte bald, dass er ebenfalls über einen reichen Schatz an Schimpfwörtern verfügte. Schon bald verschaffte er sich Respekt bei den anderen Schiffern und wurde am Wasser zu einer bekannten Figur. Man nannte ihn Baburao.
Bald war Baburao so unentbehrlich in dem Familienbetrieb, dass sich keiner mehr erinnern konnte, weshalb man ihn anfangs nicht als Bräutigam für die älteste Tochter hatte haben wollen. Alle Bedenken lösten sich in Luft auf, Botschaften gingen zwischen den beiden Familien hin und her, und die Sache wurde zur allseitigen Zufriedenheit geregelt. Nach dem Festmahl, das auf einem Hausboot, einem badgero, stattfand, richtete sich das Paar in einem Raum des Familiensitzes ein, und dort brachte Asha-didi fünf ihrer neun Kinder zur Welt.
Baburao fügte sich zwar freudig in sein neues Leben ein, aber Kalkutta war für ihn nicht das, was es für seine Frau war. Er war auf dem Boot aufgewachsen, mit dem seine Familie ihren Lebensunterhalt verdiente, einer Dschunke, die unter Führung seines Vaters die Handelsrouten der Küstenschifffahrt um Kanton befuhr. Das Boot war klein und weder schnell noch besonders komfortabel, aber es war Baburaos Heimat. Als ihm zu Ohren kam, dass sein Vater sich mit dem Gedanken trug, die Dschunke zu verkaufen, zögerte er keinen Augenblick: Briefe und Geschenke wurden mit dem Seeverkehr zwischen Kalkutta und Kanton hin- und hergeschickt, und Baburao wanderte von Schiff zu Schiff, bis er einen Bekannten fand, dem er zutraute, dass er seinen Vater dazu bewegen konnte, mit dem Verkauf noch etwas zu warten. Mit vereinten Kräften wurde das Geld für die Überfahrt aufgebracht, und wenige Monate später reiste das Paar mit seinen Kindern nach China ab.
Nun war es Asha-didi, die durch seefahrende Boten die Verbindung mit ihrer Familie aufrechterhalten musste, und wenn ein Serang oder ein Rudergänger mit Geschenken und Nachrichten zu ihr kam, erschien es ihr nur natürlich, ihm etwas anzubieten, wonach sie sich selbst oft sehnte: ein Achha-Gericht, wie sie es aus Kalkutta gewohnt war. Ihre Kochkünste sprachen sich herum, und immer mehr Achhas suchten sie auf, nicht nur Laskaren, sondern auch Sepoys, Wachleute und Daftardars. Die Zahl der Besucher nahm zu, die Kosten für ihre Verpflegung ebenfalls, und eines Tages meinte Baburao verärgert, wenn sie so viele Menschen verköstigten, könnten sie genauso gut Geld damit verdienen. Je länger sie darüber nachdachten, desto vernünftiger erschien ihnen der Gedanke. Mit Baburaos Dschunke konnten sie Vorräte aus Macao beschaffen, wo wegen der vielen Goaner, die dort lebten, masalas, daals, achars und andere Achha-Esswaren ohne Weiteres erhältlich waren. Und konnten sie sich nicht ein Beispiel an Asha-didis Eltern nehmen, die so gut damit gefahren waren, ein ähnliches Bedürfnis zu befriedigen und Speisen anzubieten, die man in der Fremde nur schwer bekam?
Der Erfolg der Garküche ermöglichte Asha-didi und ihrer Familie noch weitere geschäftliche Unternehmungen, aber das Küchenboot blieb ihre große Leidenschaft. Nie war sie zufriedener, als wenn sie an ihrem gewohnten Platz zwischen der Geldkassette und den Kochfeuern saß.
Auch Nil hatte sie immer an diesem Platz vorgefunden, und auch jetzt wanderte sein Blick dorthin, als er den Bug des Bootes betrat und den Pavillon passierte, der den Eingang des Essbereichs bildete. Er freute sich auch deshalb, sie zu sehen, weil ihr Anblick jedes Mal wieder etwas von der Verblüffung wachrief, die er empfunden hatte, als sie ihn das erste Mal auf Bengali begrüßt hatte, mit einem vollkommen gelassenen »Namashkar, kemon achhen?«, was in einer Gasse in Kalkutta nichts Besonderes gewesen wäre, auf einem Küchenboot in Kanton aber wie ein magisches Mantra klang.
Doch heute merkte Nil sofort, dass ihn Überraschungen anderer Art erwarteten. Asha-didi war nicht an ihrem Platz, und mehr noch: Einige ihrer Schwiegertöchter liefen eilig hin und her und zogen die Fenster zu. Die Garküche wurde offenbar geschlossen, obwohl es noch mitten am Vormittag war und der Tag gerade erst begonnen hatte.
Tiefgehend und rechteckig, ähnelte das Küchenboot einem Lastkahn, mit erhöhten Pavillons vorn und hinten. Mittschiffs standen unter einem lang gestreckten Dach Bänke und dazwischen
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