Der rauchblaue Fluss (German Edition)
Punhyquas Hong«, sagte er, »wegen einer Zahlung … für Seide. Da ist dieser Tumult ausgebrochen und hat mich mitgerissen. Das ist alles, mehr war nicht.«
»Ja, Sethji.«
Zum Glück war die Gasse, die zu Punhyquas Stadthaus führte, ganz in der Nähe, das machte die Geschichte glaubwürdig. Als Bahram nun aber in die Richtung sah, bot sich ihm ein Schauspiel, das ihm die Sprache verschlug: Punhyqua höchstpersönlich schritt die Gasse entlang, flankiert von zwei Kolonnen Soldaten. Er trug ein schönes Drachengewand aus weinroter Seide mit brokatenen Wolken über dem fransenbesetzten Saum und einem kunstvoll gestickten Bruststück – aber sein Hals steckte in einem schweren hölzernen Joch. So groß war das Brett, dass sein Kopf wie ein Apfel auf einem Tisch aussah.
Einen kurzen Moment begegneten sich ihre Blicke, dann schlugen beide die Augen nieder.
»Ein Holzkragen!«, flüsterte Bahram entsetzt. »Sie haben Punhyqua in einen Holzkragen gesteckt! Wie einen gemeinen Dieb … «
Hinter den Soldaten, ein Stück die Gasse hinunter, sah Bahram Punhyquas Angehörige beisammenstehen – seine Söhne, seine Frauen, seine Schwiegertöchter – , weinend, die Gesichter bedeckt. Dann sah er sich selbst an Punhyquas Stelle, wie er vor den Augen seiner Töchter und Schwiegersöhne, seiner Diener und Schwäger, vor Shirinbais Augen, auf die gleiche Weise aus dem Mistrie-Anwesen in der Apollo Street geführt wurde, und ihm blieb fast das Herz stehen. Dass er eine solche Demütigung überleben würde, war ihm unvorstellbar, und doch wusste er, dass er, käme es dazu, keine Wahl hätte, so wenig wie Punhyqua; bloße Scham bot schließlich nicht den Tod als Ausweg.
Wie benommen ging er, von Nil gefolgt, auf den Achha Hong zu.
Punhyqua in einem Holzkragen! Ungläubig schüttelte Bahram den Kopf. Ein Mann mit einem Vermögen von mindestens zehn Millionen Silberdollar! Die Welt war verrückt geworden. Verrückt.
Zwölftes Kapitel
Markwick’s Hotel, 9. Dezember
Oh, meine liebste Paggli,
hier herrscht eine ganz schreckliche Aufregung, und sie zieht solch außergewöhnliche Ereignisse nach sich, dass ich gar nicht weiß, wo mir der Kopf steht. So vieles ist passiert, es scheint unmöglich, dass all das erst vorgestern begonnen hat, und doch ist es so. Ich kann es kaum glauben, denn der Tag hatte so vielversprechend begonnen.
Ich hatte Jacqua endlich dazu bewegen können, mir Modell zu sitzen! Und dazu hatte es keiner geringen Findigkeit bedurft, denn ich musste nicht nur ihn überreden, sondern auch Lamqua dazu bringen, ihn von seinen Pflichten im Atelier zu beurlauben. Das widerstrebte ihm höchlichst, denn er fürchtete, sich den Groll der anderen Schüler zuzuziehen, und erst als ich Jacqua die Kopie eines neueren Chinnery-Gemäldes anbot, wurde die Angelegenheit zu meinen Gunsten geregelt. Wie eine Siegestrophäe brachte ich Jacqua in Markwick’s Hotel – und so entflammt war ich von meinem Triumph, dass ich Mr. Markwick (der uns natürlich, in der abscheulichsten Weise murrend, auf dem Fuß gefolgt war) buchstäblich die Tür vor der Nase zuknallte.
Es war das erste Mal, dass Jacqua – und überhaupt ein Besucher – mein Zimmer betrat, und ich muss gestehen, ich hatte ein wenig Angst, die Unordnung könnte ihn abschrecken (denn er ist in allem so ungemein akkurat). Aber das Gegenteil war der Fall: Er amüsierte sich köstlich – davon gehe ich zumindest aus, denn er musste laut lachen, als er einen Schuh auf meinem einzigen Stuhl entdeckte (ob ich seine Reaktion allerdings zu Recht als ein Zeichen der Belustigung deute, weiß ich nicht, denn ich habe festgestellt, dass die Chinesen manchmal lachen, wenn sie schockiert sind). Zum Glück hielt ihn das kleine Malheur nicht davon ab, auf dem Stuhl Platz zu nehmen, andernfalls hätte ich ein Problem gehabt, denn ich hatte bereits beschlossen, ihn sitzend zu malen, im Stil von Andrea del Sartos Johannes der Täufer (ich bin sicher, ich habe Dir einen Stich davon gezeigt: Es ist ein wahrhaft großartiges Bild – ein Jüngling, dessen Gewand bis zur Taille herabgeschoben ist und einen herrlich muskulösen und ausgesprochen unheiligen Oberkörper freigibt). Ich war natürlich nicht so unverfroren, Jacqua zu bitten, er möge sich in gleicher Weise entkleiden (wie Du weißt, mein liebes Paggli-Häschen, gehöre ich nicht zu jenen saft- und kraftlosen Malern, die einen Körper sehen müssen, um sein Abbild schaffen zu können) – man möchte ja nicht dreist erscheinen
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