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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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stillschweigender Billigung aller entstanden sind. Ich werde mich nicht zum Sündenbock machen lassen, und ich werde niemandem den Gefallen tun, Kanton zu verlassen. Die Kammer kann daran nichts ändern. Das sollten Sie unseren Gästen erklären, Mr. Lindsay.«
    Viele Augenpaare richteten sich auf den Präsidenten der Kammer, der sich nun erhob, um zu den Hong-Händlern zu sprechen.
    »Ich wäre Ihnen dankbar, Mr. Fearon, wenn Sie unsere geschätzten Freunde und Kollegen von der Cohong davon in Kenntnis setzen würden, dass die Kammer in dieser Angelegenheit machtlos ist. Übrigens ist Mr. Innes nicht einmal Mitglied dieses Gremiums; er weilt heute auf meine ausdrückliche Einladung unter uns, aber es muss angemerkt werden, dass die Kammer keine Gerichtshoheit über ihn besitzt. Mr. Innes beteuert seine Unschuld in Bezug auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Als britischer Staatsbürger genießt er gewisse Freiheiten, und wir können ihn nicht gegen seinen Willen dazu bringen, die Stadt zu verlassen.«
    Bahram lächelte in sich hinein. Wie wunderbar einfach und doch unwiderlegbar diese Argumente waren! Keine andere Sprache eignete sich so wie das Englische dazu, Lügen legalistisch zu verbrämen.
    Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und sah, dass nicht nur er beeindruckt war: Lindsays Replik war unter den Fanquis auf breite Zustimmung gestoßen. Auf der anderen Seite des Raumes aber malte sich ungläubiges Entsetzen auf den Gesichtern der Cohong-Kaufleute, als ihnen die Tragweite dieser Worte bewusst wurde. Eilig besprachen sie sich untereinander und flüsterten dann mit den Dolmetschern, die ihrerseits kurz mit Mr. Fearon redeten.
    »Nun, Mr. Fearon?«
    »Folgendes habe ich zu übermitteln: ›Durch den Starrsinn eines einzigen Mannes, Innes, befindet sich der gesamte Außenhandel in Schwierigkeiten, die wahrhaft weitreichende Folgen nach sich ziehen können. Wir bitten Sie nachdrücklich, mit vernünftigen Argumenten darauf hinzuwirken, dass Innes noch heute Kanton verlässt. Wir kennen einander seit vielen Jahren, Sie haben nicht nur mit uns, sondern auch mit unseren Vätern und Großvätern Geschäfte gemacht. Sollten wir gezwungen werden, den Holzkragen zu tragen, wäre unsere Reputation für immer dahin. Wie sollten wir mit einem solchen Makel je wieder in der Lage sein, mit einheimischen oder ausländischen Kaufleuten Handel zu treiben? Fragen Sie sich im Namen unserer langjährigen Freundschaft selbst – ‹«
    Der Vortrag des Dolmetschers wurde jäh unterbrochen, als Innes polternd aufsprang. »Jetzt reicht es mir!«, rief er. »Ich lasse mich nicht von einem Haufen gelbbäuchiger Heiden verunglimpfen! Sie zeigen mit dem Finger auf mich, dabei suchen sie selbst in puncto Sündhaftigkeit und Lüsternheit doch weiß Gott ihresgleichen. Auf Schritt und Tritt hauen sie uns übers Ohr – könnten sie uns in diesem Augenblick die Daumenschrauben anlegen, sie würden’s auf der Stelle tun. Ich würde keinen Finger dafür krumm machen, ihnen den Holzkragen zu ersparen! Der wäre nur ein Vorgeschmack auf das, was sie im Jenseits erwartet.«
    Innes hatte mit solcher Vehemenz gesprochen, dass seine Worte keiner Übersetzung bedurften, und die Cohong-Abordnung bat auch nicht darum – Innes’ trotzige Verachtung war offensichtlich.
    Die Hong-Händler erhoben sich einer nach dem anderen und setzten dem Treffen damit ein jähes Ende. Nur einer machte eine Ausnahme: Howqua, der in seinem vorgerückten Alter nicht mehr so schnell aufzustehen vermochte. Während ihm seine Diener aufhalfen, streifte sein Blick einige seiner Fanqui-Freunde, darunter Bahram. Seine Miene verriet ungläubige Bestürzung; seine Augen schienen zu fragen, wie in aller Welt es zu dieser Situation hatte kommen können.
    Irgendetwas an dem verständnislosen Blick des alten Mannes besänftigte selbst Innes. Stumm erhoben sich die ausländischen Kaufleute ebenfalls, während die Delegation abzog.
    Sie war noch nicht lange fort, da begann Innes die anderen zu attackieren: »Da stehen Sie nun und machen lange Gesichter, während der Gestank Ihrer Heuchelei die Luft verpestet! Sie, die Herren über das Sodom unserer Zeit, Sie wagen es, mich anzusehen, als wäre ich der Sünder! Es gibt doch keine Sünde, die Sie nicht selbst begangen, kein Gebot, das Sie nicht selbst übertreten haben – all Ihr Tun ist schändlich vor den Augen des Herrn. Völlerei, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl – haben Sie irgendetwas ausgelassen? Ich muss Ihnen nur ins

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