Der rauchblaue Fluss (German Edition)
Beachtung zu schenken. Von den Behörden wurde vor Kurzem eine Beschlagnahme von Opium durchgeführt, das Mr. Innes in die Stadt zu schmuggeln gedachte. In der Folge wurde einer unserer Kollegen dazu verurteilt, öffentlich einen Holzkragen zu tragen. Sie alle haben es gesehen oder davon gehört.‹«
Bahram schauderte. Er sah noch vor sich, wie Punhyqua sich unter der Last des Holzkragens abgequält hatte. Wie viele Personen hatte Punhyqua über die Jahre bestochen? Wie viel Schutzgeld hatte er gezahlt? Millionen von Tael musste er unter den Provinzbeamten verteilt haben. Vermutlich hatten auch die Männer, die ihn festgenommen hatten, irgendwann einmal von seiner Großzügigkeit profitiert. Das hatte seine Verhaftung jedoch nicht verhindern können.
Mr. Fearon las weiter: »›Wir haben für den Handel mit Ihnen Hongs eingerichtet, in der Hoffnung, ein wenig Geld zu verdienen, und um sicherzustellen, dass alles friedlich und zu beiderseitigem Vorteil vonstattengeht. Opium schmuggelnde Ausländer bereiten uns jedoch ständig Schwierigkeiten. Sagen Sie selbst: Wäre Ihnen an unserer Stelle dabei nicht auch unbehaglich zumute? Es sind doch gewiss vernünftige Männer unter Ihnen. Der Handel ist nun ausgesetzt, und bevor wir ihn wieder eröffnen, sehen wir uns gezwungen, neue Bedingungen einzuführen, denn wir sind entschlossen, die Missetaten anderer nicht länger hinzunehmen. Sollte künftig ein Ausländer versuchen, Opium oder andere Konterbande in die Faktoreien zu schmuggeln, werden wir die Behörden unverzüglich ersuchen, dem Gesetz Genüge zu tun und den Übeltäter seiner Wohnung zu verweisen. Des Weiteren hat Seine Exzellenz, der Gouverneur, durch Erlass verfügt, dass Mr. Innes, ein Mann, der heimlich Opium nach Kanton schmuggelt, aus dieser Stadt verbannt wird.‹«
Bahrams Blick wanderte unwillkürlich zu Innes hinüber, der mit seltsam leidender Miene aus dem Fenster sah. Bei seinem Anblick wallte Mitleid in Bahram auf. Ohne Innes’ Stillschweigen musste vielleicht auch er damit rechnen, für immer aus Kanton ausgewiesen zu werden.
Was würde es bedeuten, den Maidan nie wiederzusehen? Nie mehr chinesischen Boden betreten zu dürfen? Deutlicher denn je wurde ihm bewusst, dass die Stadt zu einem wesentlichen Teil seines Lebens geworden war, nicht nur in geschäftlicher Hinsicht. In Kanton hatte er sich stets am lebendigsten gefühlt, in Kanton hatte er leben gelernt. Wäre er nicht nach Fanqui-Town entkommen und hätte dort Zuflucht gefunden, wäre er auf ewig ein Gefangener im Hause Mistrie geblieben, ein kleines Licht, ein Versager, ein verachteter armer Verwandter. China hatte ihm dieses Los erspart, Kanton hatte ihm Reichtum geschenkt, Freunde, eine gesellschaftliche Stellung, einen Sohn. In dieser Stadt hatte er wie nie zuvor Liebe und Fleischeslust genossen. Ohne Kanton hätte er sein Leben wie ein Mann ohne Schatten verbracht.
Er wusste plötzlich, weshalb Innes so beharrlich seine Unschuld beteuerte: Es war seine einzige Hoffnung, immer wieder nach China, nach Kanton zurückkehren zu können. Hätte er andere in die Sache hineingezogen – was ihm ein Leichtes gewesen wäre – , hätte er damit seine Schuld eingestanden und sich mit seiner dauerhaften Verbannung abgefunden.
Mr. Fearon hob die Stimme: »›Sollte Innes sich verstockt zeigen und die Abreise verweigern, müssen wir das Gebäude, in dem er wohnt, abreißen, sodass er kein Dach mehr über dem Kopf hat. Kein Ausländer darf ihm Asyl gewähren, will er nicht selbst in Schwierigkeiten geraten. Wir müssen Sie auffordern, dies bekannt zu machen und Ihren Zeitungen zur Veröffentlichung zuzuleiten. All dies geschieht aufgrund eines Erlasses, den wir vom Gouverneur erhalten haben und in dem er uns, den Kaufleuten der Cohong, für den Fall, dass Innes Kanton nicht unverzüglich verlässt, samt und sonders den Holzkragen androht. Die Zeit ist knapp. Sollten Sie nichts unternehmen, um Innes aus der Stadt zu weisen, wird der Gouverneur seine Drohung mit Sicherheit wahr machen.‹«
Mr. Fearon hielt inne, und eine unbehagliche Stille trat ein.
Innes brach das Schweigen. »Lassen Sie es mich noch einmal sagen: Ich bin nicht schuldig – oder vielleicht sollte ich besser sagen, ich bin nicht schuldiger als irgendeiner hier im Raum, die Herren von der Cohong eingeschlossen. Ich sehe nicht ein, weshalb ich allein für eine Situation und für Umstände verantwortlich gemacht werden soll, die in gegenseitigem Einvernehmen und mit
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