Der rauchblaue Fluss (German Edition)
von selbst und kreuzten sich schützend vor seiner nur mit einem offenen Hemd bedeckten Brust. Diese Reaktion bestärkte Penrose in der günstigen Meinung, die er bereits von dem jungen Mann gewonnen hatte – denn auch er war in dem Glauben erzogen worden, dass es unziemlich sei, sich ohne Jackett in der Öffentlichkeit zu zeigen – , und er trat mit raschen Schritten auf ihn zu, um sich zu entschuldigen und sich vorzustellen. Unversehens aber fuhr der junge Gärtner herum und flüchtete durchs Unterholz.
»Warten Sie!«, rief Fitcher. »Hören Sie, ich will Ihnen nichts Böses.« Doch der Bursche war bereits verschwunden.
Fitcher schaute in das Pflanzgerät und sah darin ein kleine blaugrüne Pflanze, die er für einen Kaktus hielt. Für eine genauere Untersuchung war jedoch keine Zeit. Die Machete in der Hand, machte er sich an die Verfolgung des fliehenden Gärtners.
Schon bald hackte sich Fitcher seinen Weg durch das dichte Dornengestrüpp. Von dem Gärtner war nichts zu sehen, doch er schlug sich weiter durch, bis er aus dem Unterholz auf eine Wiese mit brusthohem Gras kam. Auf beiden Seiten ragten hohe Talipot-Palmen auf, in zwei schnurgeraden Reihen, als flankierten sie eine breite Straße. Ganz hinten stand inmitten des wuchernden Grüns ein verfallenes kleines, aber wohlproportioniertes Haus: Auf seinem Dach und an den Mauern wuchsen kleine Bäumchen, deren Wurzeln Risse in Dachziegeln und Balken gesprengt hatten; zwei Fensterläden waren von Schlingpflanzen aufgedrückt worden und schlugen mit müde quietschenden Scharnieren gegen die Rahmen.
Fitcher erinnerte sich an das Haus, denn man hatte es ihm bei seinem letzten Besuch gezeigt: Es war »Mon Plaisir«, erbaut von dem großen Pierre Poivre höchstselbst. Während er auf das Haus zuging, verlangsamten sich seine Schritte, denn so etwas wie die Ehrfurcht eines Pilgers hatte ihn ergriffen: Hier hatte der Mann gewohnt, nach dem eine ganze Pflanzengattung – Poivrea – benannt war. Fitcher stellte sich unwillkürlich vor, dass sich ein Forscher, der eine Tempelruine im Dschungel entdeckt, ganz ähnlich fühlen müsse wie er jetzt – nur lag in diesem Fall eine gewisse Ironie darin, dass die Kraft, die den Tempel zerstörte, eben jener Aspekt der Natur war, den er in seinem Inneren bewahrte.
Fitcher wollte gerade die gesprungenen Steinplatten der Schwelle betreten, da erschien eine Gestalt in der Tür. Es war der junge Gärtner: Er war jetzt korrekt gekleidet, mit Jackett und Hut, hielt aber einen dicken Knüppel in der Hand.
Fitcher hielt inne. »Kein Grund zur Aufregung, junger Mann.« Er legte seine Machete auf den Boden und streckte ihm die Hand hin. »Ich bin Frederick Penrose – man nennt mich Fitcher. Ich will Ihnen nichts Böses.«
»Davon überzeuge ich mich lieber selbst«, sagte der junge Mann, ohne ihm die Hand zu reichen. »Und mein Urteil muss warten, bis ich weiß, was Sie hierhergeführt hat.«
Sein Englisch war fließend, stellte Fitcher fest, hatte aber etwas Rätselhaftes – nicht nur das pallyvouzing, sondern auch die Intonation, die auf merkwürdige Weise an die Sprache der Laskaren erinnerte.
»Ich warte auf Ihre Antwort, Sir«, sagte der junge Mann ein wenig schroff.
Fitcher trat von einem Bein aufs andere und kraulte sich den Bart. »Nun ja«, sagte er, »vielleicht sind wir beide aus demselben Grund hier.«
Der junge Mann runzelte die Stirn, als versuchte er hinter den Sinn dieser Bemerkung zu kommen, und als er ihn nun genauer betrachtete, erkannte Fitcher, dass er noch jünger war, als er zunächst gedacht hatte, so jung, dass seine Wangennoch die rosige Färbung der Jugend hatten. Er war mithin in einem Alter, in dem manch anderer sich ängstlich odergar furchtsam gezeigt hätte, doch seine Stimme zitterte nicht, und er zeigte auch sonst keine Anzeichen von Aufregung.
»Ich verstehe nicht, Sir«, sagte der Gärtner, »wieso Sie sagen, wir hätten dieselben Absichten, da Sie doch nicht wissen können, aus welchen Gründen ich hier bin.«
»Ich dachte nur«, sagte Fitcher, »weil ich vorhin beobachtet habe, wie Sie ein Loch gegraben haben, um einen Kaktus einzupflanzen.«
Daraufhin verengten sich die Augen des Gärtners einen Moment lang, und auf seinem Gesicht erschien ein feines Lächeln. »Da irren Sie sich, Sir«, sagte er. »Es ist schon eine Weile her, dass ich zuletzt einen Kaktus angefasst habe.«
Jetzt war es an Fitcher, sich zu wundern: Er konnte sich nicht erklären, warum der junge Mann ihn wegen
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