Der rauchblaue Fluss (German Edition)
einer solchen Lappalie für dumm verkaufen wollte. »Was soll das denn, junger Mann?«, fragte er gekränkt. »Sie hatten da drüben doch einen Kaktus in der Hand. Ich hab’s mit eigenen Augen gesehen – das können sie ja wohl nicht abstreiten.«
Der junge Mann zuckte gleichmütig die Schultern. »Kein Grund zur Aufregung, Sir: nur eine einfache méprise. Ihr Irrtum ist ebenso verbreitet wie verzeihlich.«
»Was war’s denn dann?« Fitcher war es nicht gewohnt, in botanischen Fragen belehrt zu werden. »Meinen Sie«, sagte er entrüstet, »ich verstehe so wenig von der Gärtnerei, dass ich nicht weiß, wie ein Kaktus aussieht?«
Das Lächeln des jungen Mannes wurde breiter. »Wenn Sie sich Ihrer Sache so sicher sind, Mr. Penrose, haben Sie vielleicht Lust, mit mir zu wetten?«
»Aha, darauf sind Sie also aus, ja?«
Obgleich er normalerweise keine Wetten abschloss, griff Fitcher nun in seine Tasche und brachte einen Silberdollar zum Vorschein. »Hier, den setze ich – und ich hoffe, Sie können mithalten.«
»Dann kommen Sie«, sagte der junge Mann fröhlich. »Ich zeige Ihnen die Mutterpflanze, dann können Sie selbst sehen.«
Er bedeutete Fitcher, ihm zu folgen, und verschwand in einem Wald von brusthohen Gräsern. Fitcher versuchte, ihm auf den Fersen zu bleiben, doch der junge Mann war schnell wie eine Postkutsche. Schließlich blieb Fitcher stehen und rief: »Wohin sind Sie denn jetzt schon wieder verschwunden?«
»Hier bin ich.«
Fitcher ging dem Klang der Stimme nach und fand den jungen Gärtner kniend neben einer mit Moos bewachsenen Steinbank. An ihrem Fuß wuchs eine stachlige Pflanze, die langsam von wuchernden Schlingpflanzen erwürgt wurde: Ein Blick auf die dicken Klumpen und die winzigen Dornen, und Fitcher wusste, dass er in der Tat einen peinlichen Fehler begangen hatte, wie er eigentlich nur Dilettanten unterlief.
»Wie Sie sehen, Mr. Penrose«, triumphierte der junge Mann, »ist es kein Kaktus, sondern eine Wolfsmilch. Eben die Pflanze, die Linné veranlasste, dieser Gattung den Namen ›Euphorbia‹ zu geben. Es handelt sich um die König-Juba-Wolfsmilch – muss mal ein schönes Exemplar gewesen sein, aber ich fürchte, sie hat jetzt nicht mehr lange zu leben. Deshalb versuche ich, sie anderswo anzupflanzen.«
Fitcher ließ sich beschämt auf der Bank nieder. »Sie haben mich als Trottel entlarvt, das kann ich nicht leugnen.« Er nahm die Münze aus seiner Tasche. »Sie haben die Wette gewonnen, anständig und ehrlich.«
Ohne ein weiteres Wort hielt der junge Mann die Hand auf. Fitcher gab ihm den Silberdollar, und er betrachtete ihn prüfend, als hätte er noch nie einen gesehen.
»Und wo wohnen Sie?«, fragte Fitcher.
»Ich wohne hier, Sir«, erwiderte der junge Mann. »In diesem Haus.«
»In dem Häuschen, meinen Sie? Aber das ist doch eine Ruine!«
»Aber keineswegs, Sir. Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.«
Erneut musste sich Fitcher auf einen Wettlauf mit dem Gärtner durch das brusthohe Gras einlassen. Als er »Mon Plaisir« keuchend und zerzaust erreichte, stand der junge Mann wartend vor der Haustür.
»Sie können sich selbst überzeugen«, sagte der junge Mann und zeigte voller Besitzerstolz ins Innere, »dass dieses Haus keineswegs so verfallen ist, wie man von außen vermutet.«
Ein Blick durch die offene Tür überzeugte Fitcher davon, dass diese Behauptung stimmte, denn trotz der Staubflocken auf dem Fußboden und der von Wand zu Wand reichenden Spinnennetze war offenkundig, dass das Häuschen nicht dem Anprall der Elemente erlegen war. Doch von Möbeln oder sonstigen Einrichtungsgegenständen war nichts zu sehen.
»Aber wo schlafen Sie denn?«
»Es ist Platz genug, Sir. Schauen Sie.«
Der junge Mann machte eine Tür auf, und Fitcher blickte in ein Zimmer, das sorgfältig gefegt und aufgeräumt worden war. Der Fußboden war sauber, und die Luft roch angenehm nach Eberraute – Büschel davon hingen am Kaminsims und an den Fensterrahmen. In der Raummitte lagen Bettlaken und Vorhänge wie Heu zu einem Haufen aufgeschichtet, der als Bett diente. In einer Ecke standen ein Stuhl und ein Tisch, beide staubfrei. Auf dem Tisch lag ein in Leder gebundenes Bündel Papiere, aufgeschlagen auf einer Seite, die sofort Fitchers Interesse weckte: Sie zeigte die farbige Illustration einer Pflanze.
Fitcher konnte nicht widerstehen, er musste sich das Bild genauer ansehen: Es war die Handzeichnung von einer langblättrigen Pflanze, die ihm unbekannt war. Der Text darunter war
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