Der rauchblaue Fluss (German Edition)
heraufziehenden Sturm die Weide sein, nicht die Eiche.«
Ein Chor der Zustimmung ertönte: »Sehr richtig!«
»Gut gesprochen, John!«
Bahram stimmte enthusiastisch ein; er hatte befürchtet, die Hitzköpfe unter den Briten könnten eine allzu aggressive Haltung einnehmen, und war erleichtert, dass der aggressivste von ihnen zur Mäßigung riet.
»Sie haben den Nagel auf den Kopf treffen, John!«, sagte er. »Die Weide ist fürs Erste besser – warum jetzt schon die Eiche riskieren? Warten wir den Sturm ab.«
Doch der prophezeite Sturm blieb weiterhin aus, die folgenden Tage brachten nur verwirrende und scheinbar richtungslose Seitenwinde. Einmal flackerte Angst auf, als bekannt wurde, dass sich der Kommissar mehrere verurteilte Opiumhändler hatte vorführen lassen, doch die Alarmstimmung legte sich wieder, als man hörte, dass er nur ihr Strafmaß herabgesetzt hatte. Das löste Spekulationen darüber aus, ob seine Strenge nicht etwas übertrieben dargestellt worden sei, und dies wurde durch die nächste Nachricht scheinbar bestätigt: Der Yum-chae habe Kanton verlassen, um die Befestigungsanlagen am Perlfluss zu inspizieren.
Das Komitee stieß einen kollektiven Seufzer der Erleichterung aus, und es vergingen mehrere ruhige Tage, doch gerade als man sich in Fanqui-Town wieder in Sicherheit zu wiegen begann, kehrte der Kommissar zurück. Und nun tat er seinen ersten Schachzug.
Eines Morgens, als Bahram beim Frühstück saß, kam ein Bote an die Tür des Fungtai Hong Nr. 1. Vico sprach mit ihm, dann stürmte er in den daftar hinauf und trat ohne anzuklopfen ein.
Bahram kostete gerade von einem Teller pakoras aus jungem Frühlingsgemüse, und der Munshi las ihm aus der neuesten Ausgabe des Register vor. Bei Vicos Eintreten verstummte er.
»Patrão, eben war ein Bote da: In der Kammer findet eine Dringlichkeitssitzung statt.«
»Hm? Eine Sitzung des Komitees?«
»Nein, Patrão, eine Sitzung der Handelskammer. Aber nur das Komitee ist verständigt worden.«
»Wissen Sie, worum es geht?«
»Die Cohong-Kaufleute haben darum gebeten, Patrão. Sie sind schon dort; Sie müssen sich beeilen.«
Bahram trank seinen Tee aus und erhob sich. »Holen Sie mir einen choga, einen aus Baumwolle, aber keinen zu dünnen.«
Die letzten Tage waren etwas kühler gewesen, und als Bahram auf den Maidan hinaustrat, wehte ein kalter Wind. Er machte gerade seinen choga zu, als er einen Ruf hörte: »Ah, Barry!« Er sah auf: Dent, Slade und Burnham strebten der Kammer zu. Er eilte hinüber und schloss sich ihnen an.
Die Sitzung sollte in der Great Hall stattfinden, in der die Handelskammer üblicherweise tagte. Gegenüber dem Rednerpult waren etliche Stuhlreihen aufgestellt worden, und in der ersten saßen mit steinernen Mienen sechs Cohong-Kaufleute in vollem Ornat und mit ihren Rangabzeichen an den Hüten. Ihre Dolmetscher und Diener standen in ihrer Nähe an der Wand.
Die meisten Stühle im Umkreis der Cohong-Händler waren unbesetzt; die ersten Reihen waren wie immer für die Mitglieder des Komitees reserviert. Als Bahram und die anderen Platz nahmen, erblickten sie Mr. Wetmore, den Präsidenten der Kammer, der sich angelegentlich mit Mr. Fearon beriet. Beide wirkten müde und nervös, besonders Mr. Wetmore, der unrasiert und zerzaust war, weit entfernt von seiner sonst so gepflegten Erscheinung.
»Grundgütiger!«, rief Dent. »Die sehen ja aus, als hätten sie die ganze Nacht kein Auge zugetan!«
Mr. Slade verzog höhnisch den Mund. »Vielleicht«, sagte er, »gibt Wetmore jetzt Bulgarischunterricht.«
Kaum hatten sie sich niedergelassen, trat Mr. Wetmore ans Rednerpult und ergriff den Hammer. Beim ersten Schlag verstummte der Saal.
»Meine Herren«, hob er an, »ich danke Ihnen, dass Sie sich so kurzfristig hier eingefunden haben. Ich versichere Ihnen, ich hätte Sie nicht hergebeten, wäre der Anlass nicht eine schwerwiegende Angelegenheit von größer Wichtigkeit, eine Angelegenheit, die uns unsere Freunde von der Cohong-Gilde zur Kenntnis gebracht haben – einige von ihnen sind, wie Sie sehen, heute hier anwesend. Sie haben mich ersucht, Sie darüber zu informieren, dass die gesamte Gilde gestern in die Residenz des vor Kurzem eingetroffenen kaiserlichen Gesandten, Hochkommissar Lin Zexu, beordert worden ist. Bis spät in die Nacht wurden sie dort festgehalten. In den frühen Morgenstunden haben sie mir ein Edikt des Kommissars übersandt, das sich an die ausländischen Kaufleute in Kanton richtet, mit anderen
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