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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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endlich wieder auf freien Fuß gesetzt hat). Es sind alles alte Freunde von ihnen, und nur schweren Herzens übermittelten sie ihnen den Inhalt des Schreibens der Kammer. Ihr Bedauern war jedoch nichts gegen die Erschütterung und den Kummer, die der Brief bei den Hong-Händlern auslöste.
    Howqua, Mowqua und ihre Kollegen sind zwar gewiefte Geschäftsleute, aber vielleicht hatten sie ihren ausländischen Freunden allzu großes Vertrauen entgegengebracht. Offenbar hatten sie geglaubt, die Fremden würden der großen Gefahr, in der sie schwebten, Rechnung tragen. Als sie begriffen, dass die Kammer das Ultimatum des Kommissars bewusst zu ignorieren gedachte, waren sie am Boden zerstört . Sie gehen davon aus, dass der Kommissar einige von ihnen hinrichten lassen wird, und konnten es nicht fassen, dass die Fremden um einer, gemessen an dem Vermögen, das sie alle über die Jahre angehäuft haben, eher geringen Summe willen das Leben ihrer chinesischen Freunde aufs Spiel setzen würden. Ihr Jammer sei schrecklich anzusehen gewesen, sagt Charlie, und das Schlimmste sei der Kummer ihrer hemmungslos weinenden Söhne und Diener gewesen.
    Und als wäre das alles noch nicht zermürbend genug, wurde die Delegation sodann zu einigen Mandarinen geführt – Kommissar Lin selbst war nicht anwesend, dafür aber einige seiner zuverlässigsten Stellvertreter. Der Inhalt des Schreibens erschreckte auch sie zutiefst. Sie erkannten sogleich die Absicht der Kammer, Zeit zu schinden und sich herauszureden, und wiesen die Fremden darauf hin, dass Kommissar Lin nicht der Mann sei, sich einer solchen Taktik zu beugen. Dann unterzogen sie die Abgesandten einer eingehenden Befragung, ohne sich jedoch die geringste Unhöflichkeit zu gestatten, im Gegenteil: Als die Sitzung endete, überreichten sie ihnen auch noch Geschenke – Seide und Tee!
    Das ist vielleicht das Bezeichnendste an der ganzen Geschichte, meint Charlie: Das Verhalten der Chinesen war von Anfang an vorbildlich. Sie haben eine absolut vernünftige Forderung gestellt, dass nämlich die ausländischen Kaufleute ihre Konterbande ausliefern und zusichern, nie wieder Opium zu schmuggeln, was ja wirklich nicht zu viel verlangt ist. Die Ausländer hingegen benehmen sich in einer Art und Weise, die ihrem Anspruch, einer höherstehenden Zivilisation anzugehören, Hohn spricht. Dabei wissen sie ganz genau, dass ein Chinese, der versuchen würde, Rauschgift in ihr eigenes Land zu schmuggeln, auf der Stelle am Galgen enden würde.
    Aber noch ist nicht alles verloren. Charlie ist es gelungen, im Scherbenhaufen dieses Tages doch noch einen kleinen Sieg zu erringen. Als sie aus dem Consoo House entlassen wurden, bat ihn Mr. Wetmore, der sich in höchst aufgewühlter Verfassung befand, ihn noch nach Hause zu begleiten. Charlie erklärte sich einverstanden, und das erwies sich als eine sehr gute Entscheidung. Seit Mr. Jardines verderblicher Einfluss fehlt, zeigt sich Mr. Wetmore wesentlich flexibler (einmal ist er in Tränen ausgebrochen und hat sich förmlich an Charlie geklammert !), und nachdem Charlie mehrere Stunden lang Überzeugungsarbeit geleistet und an sein Gewissen appelliert hatte, konnte er ihn für seinen Standpunkt gewinnen. Sie setzten auch gleich ein Schreiben auf, in dem Kommissar Lins Forderungen offiziell stattgegeben wird! Heute soll es dem Komitee vorgelegt werden, und Mr. Wetmore hat den ganzen Vormittag mit Mr. Fearon, dem Übersetzer, zugebracht, damit dem Kommissar eine Kopie übersandt werden kann, sobald die übrigen Komiteemitglieder unterschrieben haben. Ob sie dazu jedoch bereit sein werden, steht natürlich noch in den Sternen. Es wird ein harter Kampf werden, meint Charlie, aber da er Mr. Wetmore jetzt an seiner Seite weiß, könnte ein Sieg in greifbare Nähe rücken! Es wird ganz von einigen wenigen Mitgliedern abhängen, und Charlie hegt die Hoffnung, wenigstens einen von ihnen umstimmen zu können: Mr. Bahram Moddie. Er sei im Grunde seines Herzens ein guter Mensch, sagt Charlie – als er vor ein paar Wochen einmal bei ihm war, schien Mr. Moddie stark mitgenommen von den Ereignissen der letzten Monate. Bei der bloßen Erwähnung des Opiumhändlers, der am zwölften Dezember hingerichtet wurde, zuckte er zusammen, als hätte er ein Gespenst gesehen! Charlie wertet das als ein Zeichen dafür, dass sich Mr. Moddies Gewissen regt, und deshalb kann es durchaus sein, dass er im entscheidenden Moment die richtige Wahl trifft.
    Ich muss gestehen, liebe Paggli, ich

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