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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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zurückhalten. Deshalb nur so viel: Es war eine so zarte Szene, wie ich sie nie zuvor erlebt hatte (und sei versichert, dass ich nicht so gefasst war, wie ich es jetzt bin – mein Taschentuch war praktisch ruiniert ).
    Auf dem Rückweg erzählte Charlie ausführlich von seinem verstorbenen Freund, und ich begriff, dass dieser Verlust zu keinem geringen Teil seine tiefe Verbundenheit mit China erklärt. Mr. Perits Grab ist gleichsam zu einem Anker geworden, der ihn in dem Land festhält. Aus diesem und vielen anderen Gründen ist es ihm unmöglich, die Chinesen als eine eigene Rasse zu betrachten. Für ihn sind sie ein Volk mit Tugenden und Fehlern wie jedes andere auch – die Minderbemittelten unter ihnen aber auszunutzen und ihren Schwächen Vorschub zu leisten, das ist in seinen Augen hier genauso skrupellos wie anderswo. Und das Schlimmste ist für ihn, dass der Außenhandel aus der Sicht der Chinesen eine unauflösbare Verbindung zwischen Opium und Christentum geschaffen hat. Viele derer, die mit dem Rauschgift handeln, rühmen sich ja ihrer Frömmigkeit, und so kann es nicht ausbleiben, dass die Chinesen zu der Annahme gelangen, es bestünde kein Widerspruch zwischen dem Handeln mit Opium und einer strengen Einhaltung der christlichen Gebote. Für Charlie ist es unerträglich, dass Heiden ein simples moralisches Prinzip besser begreifen als Christen.
    Während Charlie von diesen Dingen sprach, verdüsterte sich seine Miene immer mehr. Ich schloss daraus, dass ihn ein noch nicht lange zurückliegendes Ereignis belastete – und ich behielt recht.
    Jacqua und ich hatten uns in letzter Zeit so abgesondert, liebe Paggli (und waren dabei so glücklich gewesen), dass ich kaum mitbekommen hatte, was in Fanqui-Town vor sich ging – allerdings muss ich dazusagen, dass es nicht viel anders gewesen wäre, hätte ich mich unters Volk gemischt (denn ich bin wohl kaum der Typ, den ernsthafte Männer zu ihren Beratungen hinzuziehen). Aber im Gegensatz zu mir steckt Charlie mittendrin , hauptsächlich deshalb, weil er dem Komitee angehört. Was er mir von den jüngsten Entwicklungen berichtete, war mir völlig neu (und ich will Dir nicht verhehlen, liebe Paggli, wie aufregend ich es finde, bei so gewichtigen Dingen ins Vertrauen gezogen zu werden).
    Offenbar hat die Handelskammer kürzlich ein Edikt von dem neuen Kommissar erhalten, in dem ihre Mitglieder aufgefordert werden, sämtliches Opium auszuliefern, das derzeit in ihren Schiffen lagert; darüber hinaus sollen sie sich schriftlich verpflichten, nie wieder Opium nach China zu schmuggeln. Das hat, wie Du Dir vorstellen kannst, einige Aufregung im Komitee hervorgerufen: Viele der Mitglieder haben gewaltige Opiumladungen in ihren Schiffen liegen, und es sind nicht gerade Männer, die sich auf ein bloßes Edikt hin – und sei es noch so eindringlich abgefasst – treu und brav von beträchtlichen Reichtümern trennen würden. Auf ihrer letzten Sitzung hat Charlie ihnen klarzumachen versucht, dass ihre Verluste nur vorübergehender Natur wären und durch den Handel mit anderen Gütern schnell wettgemacht werden könnten – seine eigene Firma, Olyphant & Co., hat weithin sichtbar bewiesen, dass es durchaus möglich ist, hohe Gewinne zu erzielen, ohne mit Opium zu handeln.
    Aber natürlich kann ein Mensch nicht klar sehen, wenn seine Geldbörse ihn blind macht. Charlies Einwände wurden rüde zurückgewiesen, und das Komitee beschloss, Mr.Dents Rat zu folgen und ein Schreiben ins Consoo House zu schicken, des Inhalts, dass die Kammer das Edikt des Kommissars gebührender und respektvoller Erwägung unterziehe, die Angelegenheit jedoch noch mehrtägiger Überlegung, Überprüfung und Beratung bedürfe usw. usw.
    Charlie war alles andere als einverstanden mit diesem Schreiben, doch die Umstände waren dergestalt, dass er sich in der unglücklichen Lage befand, die Abordnung, die das Schreiben ins Consoo House brachte, begleiten zu müssen. Zufällig stammen nämlich Charlie und Mr. Wetmore, der Präsident der Kammer, beide aus Brooklyn, die Familien sind befreundet, und Mr. Wetmore hat Charlie schon als Kind gekannt. Er hat ihm schon immer eine gewisse Zuneigung entgegengebracht und oft keine Mühe gescheut, um ihn zu unterstützen. Deshalb konnte Charlie nicht Nein sagen, als Mr. Wetmore ihn aufforderte, ihn ins Consoo House zu begleiten.
    Dort wurden sie von Howqua, Mowqua und mehreren anderen Mitgliedern der Cohong-Gilde empfangen, einschließlich Punhyquas (den man

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