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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Zimmer. Noch benommen von dem Laudanum, fragte sich Bahram, ob er den ganzen Tag bis in die folgende Nacht hinein geschlafen hatte. Doch dann sah er das Sonnenlicht in den Ritzen der Fensterläden, und schlagartig war alles vom Abend zuvor wieder da: die Argumente und Gegenargumente, die verzweifelten Mienen Howquas und Mowquas, Dents Warnung, man werde, wenn man eine einzige Kiste ausliefere, gleich alle übergeben müssen, und schließlich der entscheidende Punkt: Mr. Thom, der Übersetzer, hatte prophezeit, dass es zu Ausschreitungen kommen werde, wenn Howqua, Mowqua oder irgendeinem anderen der Cohong-Kaufleute ein Haar gekrümmt werde. Daraufhin hatte Wetmore vorgeschlagen, tausend Kisten als Lösegeld für das Leben der Hong-Händler zu opfern.
    Wie die anderen Taipans hatte Bahram sich bereit erklärt, eine angemessene Anzahl Kisten beizusteuern, aber es gab natürlich keine Garantie, dass Kommissar Lin das Angebot annehmen würde. Erst am folgenden Morgen würde man wissen, ob er seine Drohungen wahrmachte.
    Und jetzt war es elf Uhr, das Ultimatum war längst abgelaufen, und Howqua und Mowqua waren vermutlich schon tot.
    Bahram riss an der Klingelschnur, und gleich darauf erschien ein Khidmatgar in der Tür.
    »Wo ist Vico?«, fragte Bahram.
    »Er ist ausgegangen, Sethji.«
    »Und der Munshi?«
    »Er ist im daftar, Sethji. Er wartet auf Sie.«
    Bahram bedeutete dem Mann einzutreten. »Leg meine Kleider zurecht, jaldi.«
    Bahram kleidete sich eilig an, überquerte den Flur und betrat den daftar.
    »Waren Sie heute Morgen im Consoo House, Munshi?«
    »Ja, Sethji.«
    »Und? Hat der Kommissar sein Urteil verkündet?«
    »Nein, Sethji. Ich war bis halb elf dort, aber da kam kein Urteil. Nichts.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Ja, Sethji, ganz sicher.«
    Schwindlig vor Erleichterung, musste Bahram sich am Türpfosten festhalten. Dass Kommissar Lin nicht im Consoo House erschienen war, konnte nur bedeuten, dass er das Angebot der Kammer angenommen hatte. Tausend Kisten waren schließlich keine Kleinigkeit; noch vor einem Jahr hätte diese Opiummenge dreihundertfünfundzwanzigtausend Tael eingebracht, den Gegenwert von elfeinhalb Tonnen Silberbarren. Würde Kommissar Lin auch nur einen Bruchteil davon für sich behalten, hätten noch Generationen seiner Nachkommen ausgesorgt. Kaum ein Mensch auf der Erde würde da nicht in Versuchung geraten.
    Eine schwere Last fiel von Bahram ab. Er sah sich im daftar um und freute sich, dass alles so war, wie es sein sollte: Das Frühstück wartete auf dem Tisch, und Mesto stand mit einer Serviette über dem Arm daneben. Ein Gefühl der Ruhe überkam Bahram, als er Platz nahm. Diesmal verspürte er kein Bedürfnis, Näheres zu erfahren, er wollte nur in Frieden frühstücken.
    »Soll ich Ihnen aus dem Register vorlesen, Sethji?«
    »Nein, Munshi, heute nicht. Sie suchen besser Vico.«
    »Ja, Sethji.«
    Bahram ließ seine Augen über den Tisch wandern. Auf den ersten Blick war zu sehen, dass Mesto sich an diesem Morgen besonders angestrengt hatte. Offenbar hatte er bei den Lebensmittelhändlern auf dem Maidan die Runde gemacht, denn da gab es leichte, luftige, mit Schweinebraten gefüllte Brötchen, einige Chiu-chau-Klöße von der Sorte, die Bahram am liebsten mochte, gefüllt mit Erdnüssen, Knoblauch, Schnittlauch, getrockneten Shrimps und Pilzen. Und auch eines von Bahrams bevorzugten Parsi-Gerichten hatte Mesto zubereitet: kolmi bharelo poro, ein mit geschmorten Tomaten und saftigen Garnelen gefülltes Omelette.
    Bahram kostete davon und lächelte Mesto zu. »Vorzüglich! Fast so gut wie bei meiner Mutter!«
    Mesto grinste erfreut und schob die Klöße zu ihm hin. »Probieren Sie die, Sethji, sie sind ganz frisch.«
    Bahram aß langsam und nahm sich für jedes Gericht Zeit. Fast eine Stunde verging, aber weder Vico noch der Munshi waren wieder zurück, als er seine Mahlzeit beendete.
    »Was machen sie denn so lange? Mesto, schick einen Jungen nach ihnen.«
    Noch keine fünf Minuten waren vergangen, da kamen Vico und Nil erhitzt und außer Atem hereingestürmt.
    »Patrão, eine Abteilung Mandschu-Soldaten ist zu Mr. Dent marschiert! Der Weiyuen ist auch dabei.«
    Der Weiyuen war der Polizeichef, ein Mann, der sich nur selten nach Fanqui-Town wagte.
    »Unmöglich«, sagte Bahram. »Was sollte er denn dort?«
    Die Antwort gab der Munshi: »Gegen Mr. Dent liegt ein Haftbefehl vor, Sethji. Er wird des Schmuggels und vieler anderer Dinge beschuldigt.«
    »Was für andere Dinge?«
    »Er

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