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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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soll spioniert und Unruhe im Land gestiftet haben.«
    »Wird er verhaftet?«
    »Er soll in die Altstadt gebracht und verhört werden.«
    Bahram sah den Munshi mit gerunzelter Stirn an. »Woher wissen Sie das alles?«
    »Von Mr. Burnhams Gumashta, Sethji. Mr. Burnham wohnt im selben Hong, dem Paoushun. Der Gumashta-babu hat alles gesehen.«
    Bahram schob seinen Stuhl zurück und stand auf. »Ist Dent schon verhaftet worden? Oder ist er noch dort?«
    »Er ist noch dort, Patrão«, antwortete Vico. »Die anderen Taipans sind alle zu ihm unterwegs.«
    »Ich muss auch hin«, sagte Bahram. »Wo ist mein choga, mein Stock?«
    Der Paoushun Hong war nur vier Häuser vom Fungtai Hong entfernt, und Bahram war nach wenigen Minuten dort. Als er eintrat, versperrte ihm eine Abteilung Gardisten den Weg, alles hochgewachsene Soldaten mit Federbüschen an den Helmen. Zum Glück war einer der Cohong-Dolmetscher bei ihnen; er kannte Bahram und brachte die Soldaten dazu, ihn durchzulassen.
    Dents Wohnung lag an der Rückseite der Faktorei und ging auf die Thirteen Hong Street hinaus. Bahram musste mehrere Höfe durchqueren, die normalerweise voller Menschen, heute aber wie ausgestorben waren. Nur im letzten, der zu Dents Wohnung führte, drängten sich Leute, fast alles Chinesen, von denen die meisten unter den wachsamen Augen einer Abteilung Mandschu-Soldaten bedrückt auf dem Boden hockten.
    Als Bahram sich durch die Menge schob, zupfte ihn jemand am Ärmel.
    »Mr. Moddie, Mr. Moddie – bitte helf … «
    Bahram erkannte zu seiner Verwunderung Howquas jüngsten Sohn Attock. Normalerweise verbindlich und zurückhaltend, war er jetzt völlig aufgelöst, sein Gesicht schmutzverschmiert.
    »Was ist denn los, Attock?«, fragte Bahram. »Ist Ihr Vater auch hier? Bei Mr. Dent?«
    »Ja. Auch Punhyqua. Yum-chae sag, abschneid all Kopf, wenn Mr. Dent nix geh. Bitte, Mr. Moddie, bitte sprech Mr. Dent.«
    »Natürlich. Ich werde tun, was ich kann.«
    Inzwischen war Bahram an Dents Wohnung angelangt. Die Tür stand weit offen, und niemand verwehrte ihm den Zutritt.
    Dents Räume verteilten sich wie Bahrams auf drei Stockwerke. Wie in Fanqui-Town üblich, befanden sich die Lagerräume im Erdgeschoss. Der Raum gleich hinter dem Eingang war de facto ein Warenlager, angefüllt mit Gegenständen, die sich über mehrere Jahrzehnte dort angesammelt hatten. Es war die übliche Mischung von Gütern, die Fanqui-Town passierten – Standuhren aus Europa, Lackwaren, einheimische Nachbauten europäischer Möbel – , hier jedoch neben einer Reihe anderer Kuriositäten: ausgestopfte Tiere, Töpferwaren und dergleichen mehr.
    Heute war der staubige, nur schwach erleuchtete Lagerraum auch voller Menschen. In der Mitte saß auf einem eleganten kleinen Chippendalesofa steif und aufrecht ein finster blickender Mandarin mit einer Schriftrolle in der einen und einem Fächer in der anderen Hand. Neben ihm dräute der ausgestopfte Kopf eines riesigen Nashorns, auf der anderen Seite kauerten Howqua und Punhyqua auf dem Boden, beide mit Ketten um den Hals, ihre Gewänder so schmutzig, dass es schien, als hätte man sie meilenweit durch den Staub geschleift. An ihren Hüten fehlten die Rangknöpfe.
    Bahram konnte sich an eine Zeit erinnern, in der Mandarine als Bittsteller vor Howqua und Punhyqua erschienen waren. Diese beiden unermesslich reichen Männer wie Bettler neben dem Weiyuen kauern zu sehen erschien ihm so unfassbar, dass er genauer hinschauen musste, um sich zu vergewissern, dass sie es wirklich waren.
    Erst nach mehreren Minuten merkte er, dass sich Dent, Burnham, Wetmore und mehrere andere ausländische Kaufleute auf der anderen Seite des Raumes um Mr. Fearon versammelt hatten. Er ging hinüber und hörte gerade noch, wie Burnham sagte: »Gerichtshoheit – das ist das Prinzip, an dem wir festhalten müssen, koste es, was es wolle. Sie müssen dem Weiyuen erklären, dass er keine Gerichtshoheit über Mr. Dent hat. Oder über irgendeinen anderen britischen Kaufmann, was das betrifft.«
    »Das habe ich ja versucht, wie Sie wissen, Sir«, erwiderte Mr. Fearon geduldig. »Daraufhin hat sich der Weiyuen auf den Hochkommissar berufen, der vom Kaiser persönlich mit Sondervollmachten ausgestattet sei.«
    »Dann müssen Sie ihm erklären«, sagte Burnham, »dass niemand, nicht einmal der große Mandschukaiser selbst, Anspruch auf Gerichtshoheit über einen Untertan der Königin von England erheben kann.«
    »Ich bezweifle, dass er das akzeptieren wird,

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