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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Anforderungen entsprechend verfeinerten. Ihre Schiffe waren so fortschrittlich konstruiert und wurden unter so geringem Kostenaufwand gebaut, dass viele europäische Flotten und Reedereien – ja sogar Her Majesty’s Navy – ihre neuen Schiffe lieber bei Mistries & Sons bauen ließen als in den Werften von Southampton, Baltimore und Lübeck.
    Dass die Mistries sich im erbarmungslosen Wettbewerb, der in ihrer Branche herrschte, so hervorragend schlugen, lag vor allem daran, dass sie sich voll und ganz auf ihre Fachgebiete konzentriert hatten. In einem so hoch spezialisierten Unternehmen hätte sich ein Neuling nur mit bestimmten Fähigkeiten und Fertigkeiten behaupten können, über die Bahram jedoch nicht verfügte. Werkzeuge lagen nicht sicher in seinen fahrigen Händen, technische Feinheiten langweilten ihn, und für die reibungslose Arbeit in einem Team war er zu individualistisch. Seine Lehrzeit im Schiffbauerhandwerk war bald zu Ende, und er wurde in ein düsteres Büro im Rückgebäude verbannt, wo die Bücher des Unternehmens geführt wurden. Doch auch das behagte ihm nicht, denn weder die Zahlen noch die Männer, mit denen er zusammenarbeiten sollte, interessierten ihn auch nur im Geringsten: Geldwechsler und Buchhalter hatten seiner Meinung nach ein sehr begrenztes Weltbild und besaßen weder Fantasie noch unternehmerischen Elan. Seine Stärken, fand er, waren ganz anderer Art. Er konnte gut mit Menschen umgehen und verstand es, stets auf dem Laufenden zu bleiben, und obendrein besaß er einen sicheren Blick für Risiken und Gelegenheiten. Stures Geldzählen und Zahlenschreiben waren seine Sache nicht, und noch während er in dem Büro Dienst tat, hielt er ständig Ausschau nach anderen Möglichkeiten, denn er bezweifelte keinen Augenblick, dass er eines Tages ein Betätigungsfeld finden würde, auf dem sich seine Begabung besser entfalten konnte.
    Es dauerte nicht lange, und Bahram wusste, was er wollte: Der Außenhandel zwischen dem westlichen Indien und China wuchs zusehends und bot Gelegenheiten aller Art – nicht nur Gewinnchancen, sondern auch die Aussicht auf Reisen und auf Abenteuer in fernen Weltgegenden. Doch er wusste auch, dass die Mistries ihm nicht ohne Weiteres erlauben würden, sich in diese Arena zu begeben; in geschäftlichen Dingen waren sie stockkonservativ und lehnten alles ab, was auch nur entfernt nach Spekulation aussah.
    Und in der Tat: Als Bahram zum ersten Mal das Thema Exporthandel anschnitt, reagierte sein Schwiegervater mit Abscheu: »Wie bitte? Opium nach Übersee verkaufen? Das ist reines Glücksspiel, also nichts, womit sich eine Firma wie Mistrie befassen könnte.«
    Doch Bahram war nicht unvorbereitet gekommen. »Hören Sie zu, Schwiegervater«, sagte er. »Ich weiß, dass Sie und Ihre Familie sich der Technik und vor allem dem Schiffbau verschrieben haben. Aber sehen Sie sich an, wie sich unsere Welt verändert. Heute kommen die größten Profite nicht mehr aus dem Verkauf nützlicher Dinge. Ganz im Gegenteil. Man macht Profite mit dem Verkauf von Dingen, die keinerlei praktischen Wert haben. Nehmen Sie zum Beispiel diesen neuen weißen Zucker, der aus China eingeführt wird – das Zeug, das sie ›chini‹ nennen. Ist es vielleicht süßer als Honig oder Palmzucker? Nein, aber die Menschen zahlen das Doppelte oder sogar noch mehr dafür. Sehen Sie sich an, wer sich alles mit dem Verkauf von Rum und Gin eine goldene Nase verdient. Sind diese Getränke etwa besser als unser Palmwein, unser Wein, unsere sharaab? Nein, aber die Leute sind ganz wild darauf. Mit dem Opium ist es genauso. Es ist völlig nutzlos, außer man ist krank, aber die Leute wollen es trotzdem haben. Noch dazu ist es ein Stoff, den man nicht mehr missen will, sobald man einmal damit angefangen hat; der Markt wächst und wächst. Deshalb versuchen die Briten auch, den Opiumhandel ganz an sich zu reißen. Zum Glück ist es ihnen in der Präsidentschaft Bombay nicht gelungen, ein Monopol daraus zu machen, was könnte es also schaden, ein bisschen Geld damit zu verdienen? Jede andere Werft unterhält eine kleine Flotte, mit der sie sich am Überseehandel beteiligt; wäre es nicht an der Zeit, dass auch Mistries eine Exportabteilung gründet? Sehen Sie sich die Erträge an, die manche anderen Firmen in letzter Zeit durch die Ausfuhr von Baumwolle und Opium erzielen: Mit jeder Ladung, die sie nach China senden, verdoppeln, ja verdreifachen sie das eingesetzte Kapital. Wenn Sie mir die Erlaubnis dazu

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