Der rauchblaue Fluss (German Edition)
aufgewachsen war. Doch in Anbetracht der Umstände verknüpfte man das Heiratsangebot, das seiner Mutter unterbreitet wurde, mit bestimmten Maßgaben: Da der junge Mann über kein eigenes Geld verfüge und auch keine unmittelbaren Aussichten auf Beförderung habe, müsse das Paar in Bombay leben, auf dem Anwesen der Mistries, und der Bräutigam müsse in das Familienunternehmen eintreten.
Trotz der märchenhaften Vorteile, die diese Verbindung versprach, drängte seine Mutter ihn nicht dazu: Die Wechselfälle ihres Lebens hatten ihr zu tiefen Einsichten in den Lauf der Welt verholfen, und bei der Besprechung der Bedingungen, von denen das Angebot begleitet war, sagte sie: »Für einen Mann ist es nie einfach, bei seinen Schwiegereltern zu wohnen, als ›Haus-Ehemann‹ – als Gher-jamai. Du weißt, was man von Schwiegersöhnen sagt: kutra pos, bilarã pos per jemeinã jeniyãne varmã khos – zieh einen Hund groß, zieh eine Katze groß, aber den Schwiegersohn und seine Brut stoße in die Gosse … «
Bahram tat das lachend als eine Dorfweisheit ab, die auf so wohlhabende und gebildete Menschen wie die Mistries nicht zutreffe. Er konnte es gar nicht erwarten, seine ländliche Umgebung zu verlassen, und er wusste, dass sich ihm wahrscheinlich nie wieder eine solche Gelegenheit bieten würde. Sein Entschluss stand fast vom ersten Moment an fest, doch um den Schein zu wahren, ließ er eine Woche verstreichen und bat seine Mutter erst dann, das Angebot in seinem Namen anzunehmen.
Und so fand unter entsprechend gedämpften Feierlichkeiten die Hochzeit statt, und Bahram und Shirinbai bezogen eine Wohnung im herrschaftlichen Haus der Mistries in der Apollo Street in Bombay.
Shirinbai war ein schüchternes, zurückgezogenes Mädchen, und die tragischen Ereignisse vor ihrer Hochzeit hatten ihre Gemütsverfassung nachhaltig beeinträchtigt. Ihr Auftreten war eher das einer Witwe als das einer Braut, und sie schien von einer melancholischen Aura umgeben, so als trauerte sie um den Ehemann, den sie eigentlich hätte bekommen sollen. Bahram gegenüber verhielt sie sich pflichtbewusst, wenn auch nicht eben enthusiastisch, und da er auch nicht viel mehr erwartet hatte, vertrugen sie sich recht gut und bekamen rasch nacheinander zwei Töchter.
Wenn es einerseits in Bahrams Beziehung mit Shirinbai wenig Leidenschaft gab, so gab es andererseits auch kaum böses Blut – was man freilich von seinem Umgang mit dem Rest der Familie nicht behaupten konnte. In dem weitläufigen Anwesen der Mistries lebten zahlreiche Menschen, neben Shirinbais Eltern auch ihre drei Brüder mit ihren Frauen und Kindern, und mit Ausnahme des Patriarchen schienen sie sich vor allem darin einig zu sein, dass man dem mittellosen Provinzler, der unversehens in ihrer Familie aufgetaucht war, mit Vorsicht begegnen müsse. Es war, als hätte sich ein wichtigtuerischer und leicht ungehobelter, armer Verwandter bei ihnen einquartiert und trachte danach, ihnen ihre ureigensten Rechte streitig zu machen.
Dass Bahram sich bisweilen ungeschickt anstellte, hätte er selbst gar nicht abgestritten, so wenig wie er geleugnet hätte, dass sein rustikales Gujarati und sein unzulängliches Englisch in der urbanen Welt der Mistries ein wenig peinlich waren. Doch im Grunde waren das Lappalien; in Wahrheit wäre er nicht ganz so sehr Außenseiter gewesen, hätten ihm nicht alle jene Fähigkeiten gefehlt, die die Mistries bei ihren männlichen Familienmitgliedern als selbstverständlich voraussetzten. Sie waren ein Geschlecht von Baumeistern und Handwerkern, die auf ihre fachlichen Fähigkeiten stolz waren. Shirinbais Vater, Seth Rustamji, hatte sich zum Ziel gesetzt zu beweisen, dass in Indien gebaute Schiffe – von den Europäern verächtlich als »Landboote« oder »schwarze Schiffe« bezeichnet – genauso gut oder sogar noch besser sein konnten als irgendwelche anderen weltweit. Nicht nur hatte der Seth selbst mehrere bedeutende technische Neuerungen im Schiffbau eingeführt, sondern auch seine Lehrlinge dazu angehalten, stets dem technischen Fortschritt auf diesem sich so rasch verändernden Gebiet auf der Spur zu bleiben. Regelmäßig liefen einige der schnittigsten und modernsten, im Ausland gebauten Schiffe Bombay an, und da sich die Mistries mit den Handwerkern anfreundeten, die diese Schiffe instand hielten, waren sie stets auf dem Laufenden über die neuesten technischen Verbesserungen und nautischen Geräte, die sie dann sogleich übernahmen und ihren eigenen
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