Der rauchblaue Fluss (German Edition)
verlesen.«
Er ging um die Kamineinfassung herum und nahm Platz, und der Übersetzer trat vor, ein kräftiger, bescheiden wirkender Mann Ende zwanzig. Er hatte als Sohn eines Missionars überwiegend in China gelebt und galt als Autorität in Fragen der Sprache und Kultur des Landes.
Mr. Morrison holte einige Seiten hervor und strich sie glatt. »Meine Herren, dies sind Kommissar Lins eigene Worte, die ich nach bestem Vermögen wiederzugeben versucht habe.
›Ich, Hochkommissar Lin, stelle fest, dass die Fremden im Handelsverkehr mit China seit langer Zeit beträchtliche Vorteile genießen. Sie bringen jedoch Opium ins Land, dieses alles durchdringende Gift, und bereichern sich auf diese Weise zum Schaden anderer. Als Hochkommissar habe ich ein Edikt erlassen, in dem ich versprach, nicht in der Vergangenheit zu forschen, sondern nur zu verlangen, dass das Opium, welches sich bereits hier befindet, in Gänze herausgegeben wird und weitere Lieferungen restlos unterbunden werden. Eine Frist von drei Tagen wurde gesetzt, in der jedoch keine Reaktion erfolgte. Als Hochkommissar hatte ich ermittelt, dass Dent eine verhältnismäßig große Menge Opium eingeführt hat, und ihn daher zum Verhör geladen. Auch er ließ drei Tage verstreichen, ohne dem Befehl Folge zu leisten. Es wurden daher ein befristetes Handelsembargo verhängt und die Erteilung von Reisegenehmigungen eingestellt. In dem Schreiben des englischen Superintendenten wird nicht auf diese Umstände eingegangen, sondern lediglich um Genehmigungen gebeten. Ich frage Sie: Wie könnte ich, da meine Befehle missachtet und meine Vorladungen ignoriert werden, Genehmigungen erteilen? Elliott hat das Territorium des Himmlischen Hofes als englischer Superintendent betreten. Doch während seine Regierung den Opiumkonsum im eigenen Land verbietet, duldet sie die Verführung des chinesischen Volkes. Die Depotschiffe liegen seit Langem in den Gewässern von Guangdong vor Anker, doch Elliott war außerstande, sie wegzuschicken. Ich frage daher, ob dieser Elliott überhaupt seines Amtes waltet.‹«
Während der Text verlesen wurde, hatte Bahram das seltsame Gefühl, nicht dem Übersetzer zu lauschen, sondern einer anderen Stimme, die das Kommando über Mund und Lippen des jungen Mannes übernommen hatte, einer Stimme, die vollkommen vernünftig und zugleich ganz und gar unerbittlich war. Bahram staunte: Wie konnte sich die Stimme Lin Zexus, dieser fernen Gestalt, des jugendlichen Engländers bemächtigt haben? Besaßen manche Menschen die Macht, ihre Worte so zu prägen, dass ihr unverwechselbarer Tonfall immer erhalten blieb, egal, wo, wann oder in welcher Sprache sie ausgesprochen wurden?
Wer war dieser Mann, dieser Lin Zexu? Was verlieh ihm diese eigenartige Fähigkeit, diese Autorität, diese ungebrochene Sicherheit?
»›Ich habe nun allein Elliott die Verantwortung dafür aufzuerlegen, dass die Dinge zügig geregelt werden: die Auslieferung des Opiums und die Abgabe der Verpflichtungserklärung gemäß meinen Befehlen. Kann er das Opium, das sich an Bord der Depotschiffe befindet, unverzüglich herausgeben, wird es meine Pflicht sein, ihn zu unterstützen. Hat er etwas zu sagen, was der Vernunft nicht entgegensteht, möge er es klar und deutlich zum Ausdruck bringen. Spricht er jedoch wider die Vernunft und bildet sich ein, er könnte sich mit seinen Leuten im Dunkel der Nacht davonstehlen, so wird dies beweisen, dass er sich nicht für würdig erachtet, seinen Mitmenschen offen gegenüberzutreten. Wird es ihm gelingen, durch die Maschen des weitgespannten Himmelsnetzes zu schlüpfen?‹«
Mr. Morrison ließ seine Aufzeichnungen sinken und fragte etwas verlegen: »Soll ich fortfahren, Captain Elliott?«
Captain Elliotts Gesicht hatte sich ein wenig gerötet, aber er nickte: »Ja. Bitte, lesen Sie weiter.«
»›Es muss Elliott eindringlich vor Augen geführt werden, dass er das Verbrechen fürchten und Reue und Wiedergutmachung anstreben, dass er allen Fremden klare Befehle erteilen sollte, den Anordnungen zur unverzüglichen Herausgabe des gesamten Opiums in ihren Depotschiffen Folge zu leisten. Dann werden hinfort alle Fremden rechtmäßig Handel treiben und sich der unermesslichen Gewinne aus demselben erfreuen. Gibt Elliot sich jedoch den Anschein der Unwissenheit und bringt sich willentlich in Schwierigkeiten, wird er sich die schwerwiegenden Folgen selbst zuzuschreiben haben, und wo wird er dann einen Ort der Buße finden?‹«
Bahram hatte die Augen
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